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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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denken.
    Im
Gegenteil: Schon im Stiegenhaus hörte er bestialisches Hundegebell, das er
Kurt zuordnen musste. Akustisch knapp darunter lag menschliches Stimmengewirr.
Es klang nach Hausbesitzerversammlung im Anschluss an Anrainerbeschwerden wegen
eines außer Rand und Band geratenen Deutsch-Drahthaar-Rüden. Max spürte instinktiv,
zum falschen Zeitpunkt an der richtigen Tür geläutet zu haben, als sie sich
öffnete. Einige Minuten später schloss sie sich wieder hinter ihm. Da hing
Kurt, mit einem Schal mumifiziert und dadurch ein wenig schallgedämpft, bereits
an seiner Leine und suchte mit ihm das Weite und möglichst weit Entfernte.
    Es war
müßig, die Eindrücke in einen Handlungsablauf zu zwängen. Max genügte es,
Momentaufnahmen von teils bekannten, teils unbekannten Gesichtern mitzunehmen.
Da war dieser schon gesehene Hugo Boss junior, der offensichtlich zum Haushalt
gehörte. Sein Limonen-Blick meldete gerade die Konkursmasse an. Über seinen
Armen senkte sich, wie ein schlaffer Leichnam, ein hellgraues Sakko. Dieses
sah nach Erdarbeiten im Esterhazypark aus und roch spezifisch nach Kurt.
    Daneben
stand, in tröstender Position, Mutter Boss, eine zur Kummerfalte erstarrte Dame
im zweitbesten Alter, und warf Max einen »Ich-werde-Sie-vor-den-Richter-bringen«-Augenaufschlag
entgegen. Abseits des Geschehens war eine tragische Männergestalt mit armselig
dünnem grauem Oberlippenbart erkennbar. Bei diesem Mann dürfte es sich um das
eigentliche psychische Opfer der Vorfälle gehandelt haben.
    Und dann:
Katrin. Sie lächelte, wie über einen Witz, über den man nicht lachen durfte.
Sie war schön. Sie war zu schön, um wahr sein lassen zu müssen, dass es mit
Kurt Probleme gegeben hatte, unter denen die handelnden oder bereits aus der
Handlung geworfenen Personen litten. Sie gab Max keine Schuld. »Er ist
plötzlich aufgewacht«, flüsterte sie ihm zu, hob ihre Schultern und machte aus
den Händen hängen gelassene Tulpenblätter.
    »Und er
hat seinen Hals abgeschleckt.« Sie knickte ihren Kopf in Richtung Hugo Boss.
»Dabei fiel das Sakko auf den Boden.« Jetzt lächelte sie. »Und damit hat er
dann gespielt.« Jetzt musste sie aufpassen, nicht zu laut zu lachen.
»Sackhüpfen hat er gespielt.« Jetzt hatte sie zu laut gelacht. Hugo Boss' Blick
mutierte von Limone zu Grapefruit.
    »Und das
sind meine Eltern. Darf ich bekannt machen?«- Sie durfte nicht bekannt machen.
Denn da war dann noch Kurt und brüllte sich Seele zwei aus dem Leib. Dazu drehte
er Schwindel erregende Kreise um sich selbst und um seine neuen Lieblinge,
sprang ihnen auf die Schultern, liebkoste ihre Dauerwellen und Seitenscheitel,
stieß sich wieder von ihnen ab, quietschte mit der wiehernden Semmel,
schüttelte sich den Schaum vom Mund und ... »Es ist besser, wenn wir jetzt
gehen«, sagte Max. Er wollte wirklich nicht unhöflich sein. Katrin lächelte und
hauchte ihm einen Kuss durch den Türschlitz.
     
    22.12.
     
    Sie hatten
vor, den Tag miteinander zu verbringen, abwechselnd zu zweit und zu dritt (mit
Kurt). Und es war nicht ausgeschlossen, dass sie die Nacht noch dazunahmen. Und
den nächsten Tag vielleicht. Und noch eine zweite Nacht. Katrin war egal, wie
man es nannte, was sie zu haben begannen: vermutlich eine Affäre. An weniger
konnte sie nicht mehr denken. An mehr war nicht zu denken. Max war ja nur noch
zwei Tage da. Kurt sollte zwar bei ihr bleiben (und darauf freute sie sich, sie
liebte Kurt, er hatte mit Aurelius' Sakko vor den Augen ihrer Eltern Sackhüpfen
gespielt). Aber daran ließ sich nichts eindeutig Vorhersehbares anschließen.
    Nach
Weihnachten war ohnehin immer alles anders. Egal wie es dann war, für sie war
es meistens besser, zumindest war es »besser so«. Nun galt es, diese paar Tage
zu überstehen, dachte Katrin. Dafür war die »Affäre« ein glanzvoller Auftakt.
Danach hatte sie den Hund und eine Erinnerung. So nüchtern konnte sie es
betrachten, wenn sie wollte. Sie wollte. Leider konnte sie es nicht so nüchtern
fühlen. Aber das wollte sie lernen. Vielleicht über Weihnachten.
     
    Es kam
übrigens ganz anders. Am Nachmittag trennten sie sich. Sie liebte ihn zwar,
aber er war ihr zu pervers. Das war die Sorte scheinbar normaler, liebevoller,
gefühlvoller Männer, die dann irgendwann mit dem Küchenmesser in der
Duschkabine warteten, die weinten und sagten, sie mussten es für ihre Mutter
tun, und dann stachen sie zu.
    Sie hatte
ihn erwischt. Er hatte ein Foto »dazu« gebraucht. Darauf waren die

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