Glatze mit Sommersprossen
einer wohligen Mattigkeit ergriffen wurde. Ein gräßlich-schrecklicher Gähnzwang riß mir die Kiefer auseinander. „Ich werd’ mich mal für ein Viertelstündchen von innen betrachten, Jojo, anschließend wollen wir den Fall noch einmal von allen Seiten gründlich beleuchten, einverstanden?“
„Einverstanden!“ nickte mein Schützling und wippte sich unternehmungslustig von meinem Bett.
„Du kannst ja inzwischen in der Zeitung lesen oder in deinen Comic-Heften, die wir auf dem Bahnhof gekauft haben.“
„Ich geh’ lieber an Deck und schau’ zu. Vielleicht entdecke ich unten auf dem Pier die Glatze.“
Beim spinnebeinigen Bonifatius, meine wohlige Mattigkeit war schlagartig weggeputzt, und als hätte ich mich aus Versehen auf ein Dutzend Reißnägel gesetzt, fuhr ich zum rechten Winkel hoch. „Du verläßt die Kabine nicht mal mehr für eine Sekunde!“ rief ich, ach was, polterte ich.
„Aber, Onkel Baldi, was soll ich denn hier herumhocken, wenn draußen was los ist?“ Jojo ließ seine Mundwinkel nach unten sausen und maulte: „Zum Schlafen bin ich viel zu munter. Ich gebe dir mein richtiges Ehrenwort, daß ich das Schiff nicht verlasse!“
Die Mattigkeit kehrte zurück. Wenn er das Schiff nicht verließ, konnte ja nicht viel passieren. „Ehrenwort, daß du an Bord bleibst!“
Er streckte den Arm nach oben, spreizte alle Finger (ist bei den Eskimos üblich?) und beteuerte theatralisch: „Eh-ren-wort!“
„In einer Viertelstunde bist du wieder da!“
„Klar!“
„Dann verzieh dich!“
Er war draußen, noch bevor mein Meisterdetektivkopf das Kissen erreichte. Was... uaaaaah... was, die Gähnerei regte mich auf, uaaaah... was hatte ich doch gleich gedacht?: Wenn er das Schiff nicht verließ, konnte ja nicht viel passieren... O Baldi, du naives Dickerchen... Tag und Nacht hinter einem flinken Einbrecher herzuschwitzen mußte das reinste Vergnügen gegen meine Reisebegleitung sein. Mein letzter Gedanke vor dem Hinübergleiten in ein kleines, erfrischendes Schlümmerchen galt der Frage, ob es auf dem Schiff auch Buttermilch gäbe...
Und Jojo? Der drängte sich in diesem Augenblick zwischen wohlduftende 82 weibliche Kilo aus Mönchengladbach und dünne 67 männliche Kilo aus Milano...
„Nananana“, pikierten sich die 82 gutriechenden Kilo, „was soll die Drängelei?“
„Ich möchte auch an der Reling stehen!“
„Und da mußt du hier herumschubsen? Dort drüben ist doch noch alles frei.“
„Aber hier sehe ich besser!“ Die Dame aus Mönchengladbach mußte eine kluge Dame sein, denn sie wandte sich wieder dem Treiben auf dem Pier zu. Wie es aussah, schien sie ungeduldig auf jemanden zu warten.
Der Italiener zu Jojos Linken dagegen regte sich überhaupt nicht. Mit starren Blicken sah er über Kai und Stadt hinweg. ,Der fährt bestimmt zu einem Begräbnis!“ vermutete Philip und rutschte noch eine Spur in die andere Richtung.
„Aber, Jung, nun gib doch mal Ruhe!“ grantelte seine Nachbar n und gab dem Druck nach. „Ist eben eng hier!“ sagte Jojo und lächelte sie an und: „Ich heiße Philip Matolla!“
„Von mir aus!“
„Und Sie?“
Zum erstenmal sah die wohlgerundete Frau Jojo voll an. Kopfschüttelnd fragte sie: „Nun sag mir mal um alles in der Welt, was dich das angeht, wie ich heiße?“ Nein, direkt böse klang das nicht, eher erstaunt, eine Spur irritiert und vielleicht auch ein bißchen amüsiert.
„Ich muß doch wissen, wie Sie heißen, wenn ich Sie anspreche!“
„Und warum willst du mich ansprechen? Hat dich jemand geschickt?“ Man merkte es ihrem Tonfall an, daß sie dem letzten Absatz besonderes Augenmerk angedeihen ließ.
„Geschickt hat mich niemand. Ich wollte Sie ja auch nur was fragen.“
Sie hob die Schultern und seufzte resigniert: „Also gut, du Quälgeist, ich bin Frau Schaller!“
Jojo streckte ihr die Hand entgegen. „Angenehm!“ sagte er, und sie lachte. „Du bist ein Sonnenschein. Also los, was wolltest du mich fragen?“
„Frau Schaller, dürfte ich bitte mal durch Ihr Fernglas sehen?“
Automatisch griff Frau Schaller zu dem umgehängten Feldstecher. „Aber hier gibt’s doch nichts zu sehen. Erst wenn wir abgelegt haben und auf dem Meer sind.“ Sie reichte Jojo das Gewünschte.
„Danke!“ Er hielt sich das Glas vor die Augen, und während er über den Pier schwenkte, sagte er gewichtig: „Ich bin Detektiv und muß die Köpfe aus der Nähe sehen!“
Um ein Haar hätte sich die wohlduftende Dame aus Mön-chengladbach
Weitere Kostenlose Bücher