Glatze mit Sommersprossen
Stimme klang freundlich und mitfühlend.
„Viertel neun...“ wiederholte ich in Gedanken. „Viertel neun...““ Und dann schoß ich hoch. „Viertel neun??? Da hat das Schiff ja schon abgelegt?!“
Jojo rutschte eine Elle zurück und nickte. „Wir sind schon mitten auf dem Meer!“
„Hattest du nicht versprochen, nur eine Viertelstunde wegzubleiben?“
„Ich war ja zur rechten Zeit wieder da, aber du hast fest geschlafen und ganz fürchterlich geschnarcht.“ Und leichthin: „Wenn du willst, zeige ich dir das Schiff und erzähle dir tolle Neuigkeiten. Wenn du willst, können wir auch zum Essen gehen.“
Ich lauschte in mich hinein. Nichts! Komisch, daß ich keinen Hunger verspürte. Wirklich komisch. Nachdem ich vom Bett geklettert war, mich gestreckt, zwölfmal die Knie gebeugt und mit schwingenden Fäusten dem Stadtobergauner zwei Dutzend Kinnhaken versetzt hatte, erkundigte ich mich: „Was sind das für tolle Neuigkeiten?“
„Kannst du ein bißchen hellsehen, Onkel Baldi?“ wollte er anstelle einer Antwort auf meine Frage wissen.
Ich fühlte den Ansatz von Gänsehaut. „Raus mit der Sprache?“
Jojo stellte sich so, daß er das offene Bad mit einem einzigen Schritt erreichen konnte. „Morgen früh kommt Frau Schaller zum Hellsehen zu dir! Weil du der berühmteste Hellseher der Welt bist!“
Noch bevor ich mich von Schreck und Verblüffung erholt hatte, sprudelte es aus Jojo heraus: „Weil du ein Meisterdetektiv bist, hab’ ich das gemacht. Ich habe dir doch erzählt, daß der Mann, der mein Augenzeugenbuch geklaut hat, einen anderen Mann beobachtete.“
„Na und?“
„Das war der Bruder von Frau Schaller!“
„Wer? Der mit der Sommersprossenglatze?“
„Nein, der andere, der, den die Glatze beobachtet hat.“
Ich winkte energisch ab und erklärte kategorisch: „Meine Aufgabe ist es, dich, Philip, wenn überhaupt, dann heil in Iraklion abzuliefern. Infolgedessen interessieren mich die Angelegenheiten anderer Leute nicht ein bißchen!“
Beim Barte des seufzenden Stanislaus, die Argumente und Worte, die dieser Dreikäsehoch auf mich niederprasseln ließ, fegten alle meine Proteste und Einwände beiseite. Zum Schluß stand er vor mir und sah mich mit Verschwörerblicken an. „Wir Detektive müssen doch herauskriegen, warum die Glatze den Lothar beschattet.“
„Lothar?“
„So heißt der Bruder…“
„Meinetwegen“, seufzte ich geschlagen und besiegt und setzte einen eben produzierten fatalen Gedanken in eine Frage um: „Ich hoffe nicht, daß du dir die Hellseherei schon im voraus hast bezahlen lassen — oder?“
Jojo beugte sich rasch zur Seite und kratzte sich mit Leidenschaft in der Kniekehle. „Ich glaube, mich hat was gestochen...“ versuchte er abzulenken.
„Ja, der Hafer. Also, wieviel hast du kassiert?“
Er richtete sich wieder auf, streckte die gespreizten Finger in die Höhe und verkündete monoton „Ich habe keinen Pfennig verlangt!“
Wie er das sagte, ließ nur den Schluß zu, daß ich mich in der Währung geirrt hatte. „Was hast du dann verlangt?“
„Sie borgt mir bis Iraklion ihr Fernglas!“ gab er leise zu und versuchte, mit unauffälligem Spähen meine Reaktion zu ergründen...
Agathe Mallingers Arzt hatte wohl recht: Um Jojo auf Reisen zu überstehen, mußte man über ein gesundes Herz und einen unempfindlichen Magen verfügen.
„Gehen wir was essen“, sagte ich. Aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund war plötzlich mein Appetit wieder zurückgekehrt...
Wir (ich!!!) speisten gut und reichlich, flanierten anschließend noch eine halbe Stunde über Deck und durch die Schiffsinnereien und krochen gegen 22 Uhr in unsere Betten.
Jojo, soeben noch plaudernd und Notizen machender Bettnachbar, verstummte plötzlich. Als ich hinübersah, konnte ich feststellen, daß es ihn mitten im Schreiben erwischt hatte. Behutsam nahm ich ihm Stift und Augenzeugenbuch aus den Händen und deckte ihn zu. Er knurrte dabei wie Pinsel, wenn ich ihm mitten in der Nacht einen schmackhaften Knochen wegnahm.
Der letzte Eintrag in Jojos Buch lautete: „Mann, klein, schmatzt beim Essen. Trägt viel zu weite Jacke, hat an der rechten Hand schmutzige Fingernägel, sagt immer „wissen Sie“ und „hol’s der... na, Sie wissen schon!“ Trägt hohe Absätze und sieht auch sonst blöd aus. Vater würde sagen, er hat ein ,Harzer-Käse-Gesicht’. Muß ihm mal auf die...“
Hier endete die Beschreibung und — wie mir schien — mit einer Androhung. Ei der Daus,
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