Glaube, Liebe, Mafia: Ein Fall für Josif Bondar
tot waren.
»Sie hat heute Geburtstag.«
Josif schenkte der Mutter, Judith und sich Wodka ein, hob sein Glas und forderte Judith mit einer Geste auf, mitzutrinken:
»Gott habe sie selig.«
Ohne anzustoßen, trank er das Gläschen leer. Judith folgte seinem Beispiel.
Sie tranken noch ein Glas: auf das Leben. Diesmal mit Anstoßen. Beide schwiegen eine Weile. Die blondierte Sängerin gab jetzt eine herzzerreißende Zigeunerromanze. Judith schaute Josif in die Augen. Er schien weit weg zu sein. Mit einem Mal begriff sie, dass ein Teil seines Wesens ihr immer fremd und unergründlich bleiben würde. Die Kellnerin brachte die Vorspeise: Blini mit Kaviar.
»Wie laufen die Ermittlungen?« Josifs Stimme klang nicht wirklich interessiert.
»Wir haben den Brandstifter, einen Dealer. Die Fingerabdrücke am Benzinkanister stimmen mit seinen überein. Er ist noch nicht vernehmungsfähig, liegt im Krankenhaus. Jan hat zugeschlagen, nachdem der Typ und noch ein anderer Dealer ihn angegriffen haben.«
Josifs Handy klingelte. Unwillig nahm er das Gespräch an.
»Bondar … Ja … Morgen um elf geht in Ordnung. Schicken Sie mir die Adresse per SMS. Auf Wiederhören.« Er legte auf und stellte das Telefon auf lautlos.
»Hans Pechstein. Möchte mich gerne kennenlernen. Bei sich zu Hause.«
Judith hatte keine Lust, über Berufliches zu reden.
Der Wodka, der zu wirken begonnen hatte, die herrlichen Blini und die Zigeunermusik versetzten sie in eine ausgesprochen romantische Stimmung.
»Du hast vor Kurzem gesagt, dass du an das Gute in mir glaubst. Ist das eine Lüge, ein Kompliment oder ein Heiratsantrag?«
»Weder – noch. Keine Lüge: Ich lüge dich nicht an. Kein Kompliment: Das Gute ist in der heutigen Zeit keine Tugend, sondern eher ein Hindernis in unserer durch Leistung und Konkurrenz bestimmten Gesellschaftsform.«
Die Kellnerin brachte den Borschtsch, eine Suppe aus Roter Bete.
»Kein Heiratsantrag: Ich sehe nicht ein, warum man seine innigsten, schönsten Gefühle von einem Staatsbeamten abstempeln lassen soll.«
»Das meine ich nicht ernst mit dem Heiraten. Du bist so humorlos und unromantisch.«
»Das stimmt. Unromantisch, weil nicht frei.« Josif schenkte nach, inzwischen war die Flasche halb leer.
»Nicht frei, weil ich Angst habe: Angst, dich zu verlieren, deine Stimme nicht mehr zu hören, deine Augen nicht mehr zu sehen, Angst, dass sich dein Mund mir nicht mehr öffnet.«
»Wow! Gab es einen Poesiekurs im KGB-Studium?«
»Nicht frei, weil ich kein Vertrauen habe. Weil ich gelernt habe, dass man sich auf niemanden und nichts verlassen kann. Das einzig Zuverlässige im Leben ist die Unberechenbarkeit und die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz.«
»Das ist krank.«
»Mag sein.«
»Du kannst nicht vertrauen?«
»Nein, das entspricht nicht meiner Konditionierung.«
»Dann programmiere dich anders. Was steht dir im Weg?«
Josif aß die Suppe und schwieg. Nachdem er den letzten Tropfen der blutroten Flüssigkeit ausgelöffelt hatte, sagte er:
»Ich muss im August raus aus meiner Wohnung. Sollen wir probeweise zusammenziehen?«
»Das ist der konstruktivste Vorschlag, der jemals aus dem Mund eines sowjetischen Geheimagenten gekommen ist.«
Als Hauptgericht gab es Lammschaschlik.
An den Nachtisch konnte sich Judith später nicht erinnern.
7
»Du hast eine Mahnung von der GEW. Wenn du nicht innerhalb einer Woche 138,70 Euro zahlst, stellen sie den Strom ab.« Silvia trug wieder das himbeerfarbene peruanische Kleid und sortierte Bondars Post.
»Dein Konto ist hoffnungslos überzogen, aber was ist eigentlich mit den 500 Euro von Heidi? Schon ausgegeben?«
Josif schaute in seiner Brieftasche nach:
»Nein, 300 habe ich noch. 150 für dich und den Rest für den Strom. Kannst du heute bitte direkt bei der Post einzahlen.«
Bondar reichte ihr das Geld.
»Was hast du im Netz über Hans Pechstein gefunden?«
Silvia las vor:
»Hans Pechstein, geboren 1948, ist ein Großindustrieller aus Köln, Inhaber der Möbelhauskette Pechstein. Verheiratet. Seine Frau Gisela Pechstein, Mädchenname Ulrath, geboren 1960, war Schauspielerin. Seit 1985 ist sie nach einem von Hans Pechstein verursachten Autounfall querschnittsgelähmt. Sie haben einen gemeinsamen Sohn Christian (geboren 1983).
Zur Unternehmensgeschichte:
Der Vater von Hans Pechstein, Friedrich Pechstein, hat 1936 als NSDAP- und SA-Mitglied im Zuge der Arisierung sowohl das Möbelhaus Levy im Zentrum von Köln als auch die Villa in
Weitere Kostenlose Bücher