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Gleich bist du tot

Titel: Gleich bist du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain McDowall
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Abend absagen. Im Hotel gab es Personalprobleme, und die einzige Lösung bestand heute darin, dass sie selbst die Abendschicht an der Rezeption übernahm. Sie sagte, sie sei um Mitternacht wieder frei, falls er noch zu ihr in die Wohnung kommen wolle, aber er lehnte das Angebot ab. Er hörte die Müdigkeit in ihrer Stimme und wusste, dass sie nach der zusätzlichen Schicht völlig erschöpft sein und bestimmt am liebsten ins Bett fallen und schlafen würde.
    Nachdem er abgespült und die Küche aufgeräumt hatte, schenkte er sich noch ein zweites Glas ein und nahm es mit ins Wohnzimmer. Er beschäftigte sich zurzeit mit Daniel Dennett, haderte aber noch mit sich, ob er dessen Theorien über mentale Prozesse folgen sollte oder nicht. Sollte er dem Buch des Philosophen mit dem selbstbewussten Titel ›Die Erklärung unseres Bewusstseins‹ ein oder zwei Stündchen widmen? Wenn Dennett Engländer gewesen wäre und kein so typischer, eingebildeter Ami, hätte er sein Opus eher ›Das Bewusstsein: Der Versuch einer vorläufigen Orientierung‹ genannt. Als Jacobson nach dem Band griff, kam er ihm wie ein äußerst ärmlicher Ersatz für Alisons blonde, wohlgeformte, verführerische Gesellschaft vor. Ein paar Minuten lang zappte er sich durch die Fernsehkanäle. Keiner von ihnen konnte seine Aufmerksamkeit fesseln, im Gegenteil, das meiste, was er sah, stieß ihn ab. Es schien unvermeidlich, so unvermeidlich, dass er das Gefühl hatte, sich dabei praktisch zuzuschauen, als wäre er eine Fliege, die an der Wand umherkrabbelt. Und so schlich er sich schließlich in den Flur und kam mit der vollgepackten Aktentasche wieder zurück: mit den Kopien der Zeugenaussagen, Jim Websters ersten Berichten, seinen eigenen Notizen und der DVD mit den Filmen der Art-Gang, die Steve Horton ihm angefertigt hatte. Er schob Hortons Scheibe in den DVD-Spieler, bekam ihn schließlich im dritten Anlauf in Gang und ließ sich in den Sessel sinken, um sich die Filme genau von Anfang bis Ende anzusehen. Natürlich kannte er sie bereits, alle mit dem Fall befassten Beamten hatten sie gesehen, doch die Erfahrung besagte eindeutig, dass es so etwas wie eine zu große Vertrautheit mit dem Beweismaterial nicht gab. Die Bande wusste ganz offensichtlich, was sie wollte, und hatte die Filme sorgfältig geschnitten und bearbeitet. Das hieß jedoch nicht, dass es nicht irgendwo ein kleines, winziges Detail gab, das sie übersehen hatten. Etwas, das das CID Crowby wie eine Wagenladung Ziegel auf sie niedergehen lassen würde.
    Er sah sich einen Film nach dem anderen an und spielte sie dann noch einmal durch, wobei er sie immer wieder, und zwar mehr oder weniger zufällig, anhielt und darauf hoffte, dass ihm auf dem einen oder anderen Standbild etwas auffiel, das er vorher nicht bemerkt hatte. Er verstand immer noch nicht, warum die Bande auf diese Weise für maximale Beachtung zu sorgen versuchte. Sie hatten ihre »Werke« an alle großen Fernsehsender geschickt, und gekürzte Versionen waren überall in den überregionalen Nachrichten gezeigt worden. Bis jetzt hatten die Fernsehsender mit der Polizei zusammengearbeitet. Sie hatten die Gesichter der Opfer verpixelt, ihre Nacktheit versteckt und den Rat der Polizei befolgt, wie viel und welche Sequenzen des Materials sie zeigen sollten. Dennoch, die Bande hatte es landesweit auf die Bildschirme geschafft, und das zur besten Sendezeit. Ohne ihre Medienaktivitäten hätten sie jenseits der regionalen Grenzen wahrscheinlich kaum Aufmerksamkeit erlangt. Jacobson leerte sein Glas, überlegte, ob er noch ein drittes trinken sollte, und entschied sich zunächst dagegen. Er wollte die Filme ein weiteres Mal ansehen, sich dann erst nachschenken und die Unterlagen studieren. Ihm war aufgefallen, dass die Bande zwar vier Mitglieder hatte, einer davon aber weit weniger zu sehen war als die anderen. Der, der laut Tracey Healds Aussage »Adrian« hieß, tauchte seltener auf den Filmbildern auf, was darauf hindeutete, dass er der Kameramann und womöglich auch darüber hinaus das technische Genie war. Tracey Heald hatte außerdem noch beschrieben, dass der Typ namens »Brady« der Anführer zu sein schien, der die anderen herumkommandierte. Es lohnte sich immer, die Beziehungen innerhalb einer Gruppe von Gesetzesbrechern näher zu betrachten: Wie sah ihre Hierarchie aus, wer hatte die Macht, und wer nicht? Daraus konnte man seinen Vorteil ziehen, wenn man die Leute erst mal in Gewahrsam hatte, wenn man sie verhörte und die

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