Gleich bist du tot
auch noch ihre eigenen Filme.«
Kerr nippte an dem zu starken Tee.
»Wir werden sie schon kriegen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie einen Fehler machen. Was ich nicht kapiere, ist, warum sie das alles tun? Was zum Teufel soll das bloß?«
»Solange wir in einer derart dekadenten, ziellosen Gesellschaft leben, Ian, mein Junge, wird es immer schlechte Menschen geben, die sinnlose Dinge tun. Einfach nur, um sich gegen die Langeweile ihres leeren, sinnlosen Lebens zu wehren.«
Kerr nahm den Köder nicht an. Ich wollte dich einfach nur sehen, alter Knabe. Ich bin nicht hier, um eine politische Diskussion mit dir anzufangen.
»Da gab es vor Jahren in Amerika den Fall Leopold und Loeb, wie ich mich erinnere«, fügte Tom Kerr hinzu. »Da begingen zwei reiche, verzogene Mistkerle einen völlig grundlosen Mord. Weil sie die Erfahrung machen wollten, sagten sie. Der alte Hitchcock hat einen Film daraus gemacht.«
»Ja, ich glaube, den habe ich im Fernsehen gesehen«, sagte Kerr.
Er sagte nichts zu den Mordfällen, die er draußen in Woodlands schon erlebt hatte. Im letzten Jahr erst war ein Schüler bei lebendigem Leib verbrannt worden, weil die Täter seine Turnschuhe und seinen iPod gewollt hatten. Darauf würde der alte Mann sowieso nur die gewohnte Antwort haben: Wenn man Menschen so zusammenpferche wie ungewollte Kreaturen und ihnen auch noch sage , dass sie ungewollte Kreaturen seien, dann solle man sich nicht wundern, wenn sie sich tatsächlich so verhielten.
Das Gespräch stockte eine Weile und wandte sich dann einem anderen, weniger strittigen Thema zu. Der Familie. Cathy, den Zwillingen. Kerr versprach, dass sie bald einmal gemeinsam zu Besuch kommen würden, und vielleicht könnten sie ja zusammen einen netten Ausflug unternehmen? Er erwischte sich dabei, wie er ein altes Familienfoto anstarrte, das sein Vater gerahmt und an die Küchenwand gehängt hatte. Darauf sah man den Strand in Minehead. Seine Mum lag im Badeanzug auf einem großen Handtuch, und Kerr warf seiner Schwester Rosie einen Wasserball zu. Sein Dad war nicht mit auf dem Foto, wahrscheinlich war er der Fotograf gewesen.
»Hast du in letzter Zeit etwas von Rosie gehört?«, fragte der herangewachsene Sohn.
Kerrs Schwester war Lehrerin, sie lebte in Glasgow. Sie war das gute Kind, das die elterliche Weltsicht teilte.
»Jepp. Sie hat sich angewöhnt, mich einmal in der Woche anzurufen. Wahrscheinlich will sie sich vergewissern, dass es mir gut geht. Sie liegt mir damit in den Ohren, dass ich sie eine Weile da oben besuchen soll. Sie sagt, sie hat reichlich Platz in ihrem neuen Haus. Ein Gästezimmer und so weiter.«
»Vielleicht solltest du es dir überlegen«, sagte Kerr, »einfach, um hier mal rauszukommen. Stell dir vor, es ist ein Urlaub.«
»Ich habe im Augenblick zu viel zu tun. Die Kampagne gegen die geplanten Personalausweise. Ich habe versprochen, auf einer Kundgebung drüben in Birmingham zu sprechen.«
Der alte Mann schenkte sich Tee nach und fragte seinen Sohn, ob er auch noch etwas wolle.
»Nein, danke, Dad. Ich denke, ich muss zurück ins Präsidium.«
Eigentlich hatte er noch zehn Minuten bleiben wollen. Aber er wollte sich keinesfalls in eine Diskussion über Personalausweise verwickeln lassen. Nicht zuletzt, weil er sich nicht mal sicher war, ob sein Dad in dem Punkt nicht tatsächlich recht hatte.
»Jepp, natürlich«, sagte Tom Kerr, »es war auf jeden Fall gut, dich zu sehen.«
Im Flur draußen schüttelten sie sich die Hände. Der alte Mann stammte noch aus einer Generation, in der sich richtige Männer nicht umarmten. Aber zwischen einem Vater und seinem Sohn hatte selbst noch ein etwas schroffer Handschlag seine eigene, beredte Bedeutung.
Jacobson öffnete einen australischen Shiraz und schenkte sich großzügig ein Glas ein, während sein trauriges Essen in der Mikrowelle Kreise drehte: einmal Rogan Josh von Sainsbury’s, für ein bis zwei Personen. Er sah in den Grill, welche Fortschritte das vorher aufgetaute Peshwari Naan machte. Das Brot schien fast fertig, und so deckte er den Küchentisch für sich ein. Als alles fertig war, setzte er sich zum Essen. Im Hintergrund lief auf ›Radio 4‹ ein etwas langweiliger Beitrag über die wirtschaftlichen Aussichten der Europäischen Union. Das war die Art Sendung, der man nicht wirklich zuhörte, sondern die man einschaltete, um menschliche Stimmen um sich zu haben. Alison hatte angerufen, als er zur Tür hereinkam. Sie musste ihre Verabredung für den
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