Gleich bist du tot
Früher oder später, so glaubte Brady, schliefen sie mit jedem, mit dem sie zusammen Musik machten.
Geradezu obsessiv sah er zum soundsovielten Mal nach, ob sein Handy auch eingeschaltet war. Ihr Zeitfenster war winzig, und sie würden verdammt schnell sein müssen. Aber wenigstens konnten sie sicher sein, dass sie sich exakt am richtigen Ort befanden, wenn es so weit war. Sie musste hier durchkommen, ganz gleich, ob sie direkt aus Wynarth kam, vom »Riverside Hotel« oder sonst woher. Das letzte Stück nach Boden Hall ging nur über diesen Weg. Die Strecke über Crowby war etwas weiter als die direkte von Wynarth, aber es war eine größere Straße, die dem Fahrer sicher besser gefiel. Breiter. Gut beleuchtet. Mit Kameras. Wenn der Typ in seinem Job als Bodyguard was taugte, und es gab keinen Grund, daran zu zweifeln, würde er bestimmt über Crowby fahren. Durch die offene Landschaft. Sehen und gesehen werden. Die letzten drei, vier Kilometer nach Boden Hall änderte sich jedoch alles. Das Anwesen selbst war von hohen Mauern mit einem massiven Tor umgeben, und der eigentliche Zugang zum Haus war nur über eine streng private, mit Sicherheitskameras ausgestattete Straße möglich. Aber vorher musste jeder hier durch: über diese sich windende kleine Landstraße, die durch ein Stück allgemein zugänglichen Staatsforst führte, mit Naturpfaden, Parkplätzen, Picknicktischen und kleinen Autorastplätzen. Langeweile in Reinkultur, aber für ihren Zweck genau richtig.
Brady zog sich für einen Moment die Maske vom Gesicht, um die kühle Luft auf der Haut zu spüren. Diesmal würden sie alle maskiert sein. Das war natürlich seine Entscheidung gewesen. Er hatte den anderen erklärt, es würde eine weitere Verwirrung für die Jungs in Blau bedeuten. Maria hatte die Masken aus gewöhnlichen wollenen Strumpfmützen gemacht, die sie in einer Filiale von Millets gekauft hatte. Der Schlager der Saison, Terroristenschick, dachte er und musste über seinen eigenen Witz lachen. Den Blick hielt er dabei jedoch fest in die richtige Richtung gewandt. Er parkte vor einer scharfen Kurve und hatte den Volvo so weit wie möglich in eine Lücke zwischen den Bäumen gequetscht. Der Mercedes musste abbremsen, wenn er hier vorbeikam, was ihm, Brady, die Möglichkeit geben würde, die Insassen zu identifizieren. Einen Kilometer weiter lagen Adrian, Annabel und Maria bereits auf der Lauer und warteten auf den Anruf. Seinen Anruf natürlich.
Perry verließ Crowby mit voller professioneller Wachsamkeit, nahm automatisch jedes Auto in den Blick, das ihnen nahe kam, und hielt nach Hinweisen auf Ungewöhnliches Ausschau, so weit die Straße vor ihnen einsehbar war. Er arbeitete jetzt seit acht Jahren für John Shepherd und hatte immer wieder daran gedacht zu kündigen. Aber es war schwer, das großzügige Gehalt aufzugeben. Das weltweite Reisen in der ersten Klasse. Die Möglichkeit, auf Shepherds Kosten die Hälfte des Tages an seiner Fitness zu arbeiten. Es war zu dumm, dass ein großer Teil seines Jobs aus Dingen bestand, die er als »schmutzig« einstufte: Shepherd von allem abzuschirmen und ihn vor den Folgen seiner oft falschen Ermessensentscheidungen zu schützen. Weshalb es ihm auch gefiel, Shepherds Tochter zum »Wynarth Arms« und hinterher wieder nach Hause zu bringen. Das war nicht unter seiner Würde, das war der »saubere« Teil seines Jobs. Sicherheit. Körperlicher Schutz. Menschen sichern in einer unsicheren Welt. Das gab ihm ein gutes Gefühl.
Hin und wieder sah er sie im Rückspiegel an. Sie wirkte gedankenverloren, aber bester Laune, glücklich. Dabei hatten ihre Mum, Shepherds zweite Frau, und ihr Dad wirklich alles getan, um sie zu verkorksen: hatten gestritten und dabei alle Register gezogen, hatten gesoffen, Drogen genommen, sich betrogen, waren falschen Therapeuten und verrückten Kulten gefolgt. Und doch, trotz alledem, war aus Shepherds Tochter ein tolles Mädchen geworden. Sie widmete sich ihrer Musik, war aber keine Primadonna. War einfach ein netter Mensch. Weit, weit netter, als Shepherd es verdiente. Als sie den kleinen Wald kurz vor dem Anwesen erreichten, betätigte Perry diskret die Zentralverriegelung. Die Kurven der engen Straße zwangen ihn, langsamer zu fahren, und machten dieses Stück eindeutig zum gefährlichsten Teil der Reise.
Bei der dritten Kurve sah er etwas, das ihm nicht gefiel. Das hatte seiner Meinung nach das Glitzern einer Autokarosse in einer kleinen Lichtung sein können. Er fuhr
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