Gleich bist du tot
auskannte und am Mischpult half, trug sie auch etwas bei.
Die den Hotelgästen vorbehaltene Late-Night-Bar des »Riverside« war von den Teilnehmern einer Firmentagung ziemlich in Beschlag genommen. Glücklicherweise waren noch zwei nebeneinanderstehende Tische frei. Randy und Alvin schoben sie zusammen, während der Roadie mit der fußlahmen, gestressten Bedienung über die Getränke verhandelte.
»Das ist ja irre Rock ’n’ Roll«, höhnte Nick, als er den Raum voller Geschäftsanzüge sah, aber alle wussten, dass er es nicht so meinte. Zum einen war er wegen des Gigs viel zu gut drauf, und zum anderen war er als Typ selbst so wenig Rock ’n’ Roll wie nur sonst einer. Keine Drogen, keine Zigaretten, praktisch kein Alkohol. Richardson, dem Typen vom »Wynarth Arms«, hatte das Konzert ganz offenbar auch super gefallen, und er hatte noch eine Party für sie geben wollen, aber vor allem Nick hatte keine Lust gehabt. Morgen Abend würden sie das erste offizielle Konzert der Tour geben, hatte er ihm erklärt, und sie seien immer noch nicht über ihren Jetlag weg. Keiner von ihnen war seit mehr als ein paar Tagen auf der Insel, keiner hatte sich bisher richtig an die Zeitdifferenz und das Fehlen echten Sonnenlichts gewöhnt. Alles das stimmte natürlich, hatte January gedacht, aber sie wusste, dass der wirkliche Grund der war, dass die Musikjournalistin aus London nach dem Auftritt noch im »Wynarth Arms« herumgehangen hatte. January und Nick hatten sich gut mit ihr unterhalten, bis sie auf den Auftritt letztes Jahr in L. A. zu sprechen kam, wo Januarys Dad die Bühne geentert und kaum mehr heruntergewollt hatte. Es war sein erster öffentlicher Auftritt seit mehr als zehn Jahren gewesen, und das Thema brachte Nick total in Wut. January wusste, dass es ihm mit Alice Banned allein um seine und ihre Songs ging und dass er nicht wollte, dass die Band irgendetwas mit dem alten Scheißer zu tun hatte, der es nach Nicks Meinung längst hinter sich hatte und musikalisch ohne jede Bedeutung war.
Gegen eins entschied sich January, den Abend Abend sein zu lassen. Randy, Alvin und Melanie schienen noch eine Weile bleiben zu wollen, erzählten sich einen George-Bush-Witz nach dem anderen und entspannten. Sie küsste Nick, bevor sie ging, küsste ihn voll auf den Mund. Nachdem sie sich kennengelernt hatten, waren sie für eine Weile ein Paar gewesen, aber es hatte nicht lange gehalten. Nur, dass sie ihn manchmal noch ansah und genau das in ihm entdeckte, was sie ganz am Anfang in ihm gesehen hatte: einen emotionalen, mittelgroßen, leicht gebauten Engländer in einem Meer gebräunter, muskulöser Kalifornier. Das fühlte sich an, wie nach Hause zu kommen.
Als sie sich von allen verabschiedet hatte, stand Perry mit dem Mercedes bereits vorm Hoteleingang und wartete auf sie. Sie setzte sich nach hinten, da sie wusste, dass er es absolut nicht haben konnte, wenn sie neben ihm auf dem Beifahrersitz mitfuhr. Perry ließ den Motor an, so höflich schweigsam wie immer. Einen guten Auftritt erlebt man im Grunde dreimal, dachte sie. Da war einmal das Vorgefühl, die gespannte Erwartung, dann kam der Auftritt selbst, und am Ende spielte man alles in Gedanken noch einmal durch. ›Screwed Up‹ wurde zu so etwas wie ihrer Hymne. Sie hatten das Konzert damit eröffnet und es noch mal als letzte Zugabe gespielt. Es war zu achtzig Prozent Nicks Nummer. Was den Song allerdings zu einem verdammten Hit machte, das waren der massiv herausgedonnerte Riff und der Chor. Ihr Riff und ihr Chor. Da sah man auch komplett ohne Drogen eine Horde irrer grüner Teufel auf Verstärkern und Lautsprechern tanzen.
Brady fummelte am leise eingestellten Radio des Volvos herum. Er probierte fünf, sechs Sender und gab schließlich auf. Er musste zugeben, dass er nervös war. Natürlich nicht, weil er sich nicht sicher gewesen wäre, dass sie die Sache durchziehen konnten. Das wusste er. Was ihm Gedanken machte, war die Frage, ob sie überhaupt ihre Gelegenheit bekommen würden.
Es konnte noch einiges schiefgehen. Das Hauptproblem war, ob January Shepherd heute Nacht nach Boden Hall zurückkehren würde oder nicht. Der Rest der Band wohnte im »Riverside Hotel«, und es war gut möglich, dass sie mit einem von ihnen die Nacht dort verbrachte. Eine Weile lang hatte es Gerüchte wegen ihr und Nick Bishop gegeben, aber selbst wenn da mittlerweile nichts mehr lief, Bandmiezen waren bekanntlich sexuell im Overdrive und höchst inzestuös ausgerichtet.
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