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Gleichbleibend Schoen

Gleichbleibend Schoen

Titel: Gleichbleibend Schoen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Hodgman
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exklusiven Vorort.
    *
    Am Tag der Beerdigung regnete es. Daran erinnere ich mich. Es hatte den ganzen Sommer keinen Regen gegeben, aber an diesem Tag regnete es. Wie es sich gehörte. James begleitete mich zur Beerdigung; wenn es darauf ankam, wusste er die Form zu wahren. Das Krematorium war ein neues, quadratisches Gebäude aus glitschigen gelben Steinplatten. Es lag abgeschieden außerhalb der Stadt auf einer windgepeitschten Anhöhe, umgeben von gepflegten grünen Rasenflächen. Sie waren mit glänzenden Kupfertafeln gespickt, auf denen Namen und Daten standen. Außerdem gab es noch niedrige Mauern mit eingelassenen Nischen. Statt unter den Rasen konnte man auch in eine Nische gehen, wenn die Überlebenden das so wünschten oder man es sich selbst gewünscht und irgendwo aufgeschrieben hatte.
    In der schuhschachtelgroßen Kapelle verdrückten James und ich uns ganz nach hinten. Es waren nur wenige Leute da. Die ehemaligen Kollegen der Verstorbenen scharten sich als Berufsgruppe auf einer Seite zusammen und mieden den Blickkontakt mit den anderen. Sie standen auf einem leberkrank-schleimgelben Teppich, passend zur Fassadenfarbe. Vorn in der Mitte der Sarg. Er war sehr groß. Ich vermutete, dass drinnen noch ziemlich viel Platz war.
    Nach einem kurzen Gottesdienst schoss der Sarg vor und verschwand geräuschlos durch ein Loch in der Wand, über das sich ruckartig glänzende violette Vorhänge schlossen. Eine Zeit lang rührte sich niemand, weil niemandem klar war, dass es vorbei war. Ein Rinnsal dünner Orgeltöne aus dem Kassettenrekorder brachte alle zur Besinnung. So schnell es der Anstand erlaubte, flüchteten sie aus dem Gebäude. Männer, die sich für einen Moment des Unglücks und der Sterblichkeit bewusst geworden waren, stützten auf der Treppe ihre Frauen. Die Lehrer hielten sich gegenseitig vom Nichtgebrauch steif gewordene Schirme über die Köpfe. Der Regen fiel in ordentlichen grauen Strichen.
    Ben war draußen. Er stand zusammengekauert unter einem seltsam italienisch und formal wirkenden immergrünen Baum. Die Hände hatte er tief in den Taschen seiner Jacke vergraben. Er trug einen schmal geschnittenen schwarzen Anzug, früher Beatles-Stil. Der flache Samtkragen hatte sich mit Regenwasser vollgesogen. Sein Haar sah anders aus, kurz und ungleichmäßig geschnitten. Wasser strömte von seinem Strubbelkopf und die Schnürsenkelkrawatte im Country-und - Western-Stil hinab. Unten sprang es in dekorativen Fontänen von seinen schäbigen silbernen Stiefeln. Die Leute gingen schweigend an ihm vorbei und stolperten kiesknirschend durch die Regenfluten zu ihren Autos. James und ich blieben Arm in Arm vor ihm stehen. » Warte hier«, sagte James. » Ich hole das Auto.« Er rannte los und verschwand im Regen. Ben und ich standen unter dem fremdartigen Baum und schauten zum Eingangsportal des Krematoriums.
    » Was ist passiert?«, fragte ich. » In der Zeit, bevor es passiert ist?«
    » Nichts. Nichts ist passiert«, sagte Ben. » Einfach nichts. Verdammt viel nichts. Sie wollte nicht mit mir reden, nicht richtig. Warum, hat sie nicht gesagt. Sie konnte kaum noch schlafen. Ich fand, dass sie zum Arzt gehen sollte. Das hab ich ihr gesagt, aber sie wollte nicht. Nachts hatte sie schlimme Träume. Sie seien voller Schnee und Nichts, hat sie gesagt. Eines Morgens meinte sie, es gebe nicht mehr genug Farbe in der Welt. Das stimmt nicht, hab ich gesagt. Nicht, wenn man seine Augen gebraucht und richtig hinschaut. Mir komme die Farbe meistens schon wieder aus den Ohren raus, hab ich gesagt, mehr als genug für uns beide. Meine Meinung zähle nicht, hat sie da gesagt. Jeder wisse doch, dass ich verrückt sei.« Er rieb sich mit regennassen Fingerknöcheln die Augen. » Sie hat gesagt, dass ich alle Farbe aus ihrer Welt gesaugt und in meine Welt geholt hätte. Und jetzt würde sie in meinen Bildern überall an den Wänden hängen. Sie hat gesagt, dass ich Stücke aus ihrem Leben geklaut und an Fremde verkauft hätte. Ich wollte ihr sagen, dass das nicht stimmt. Wirklich nicht. Aber sie meinte nur, ich verstünde das nicht. Ich verstand es auch nicht. Ich verstehe es immer noch nicht. Weißt du, sie war krank. Menschen, die sich umbringen, sind doch krank, findest du nicht?«
    » Ja. Ich denke schon.« Aber ich wusste es nicht.
    Ben kaute auf seinen Nägeln. Die Zähne nagten an den brüchigen Stellen. Ich bewegte mich etwas von ihm weg. Er spuckte die Stückchen aus und sprach weiter.
    » Ich glaub, es war vor allem

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