Gleichbleibend Schoen
verfilzten Zuckerwattesträhnen am Kopf zu kleben.
Ich fragte mich, ob das, was der Alte über die Knochen erzählt hatte, stimmte. Er redete schon wieder und erklärte mir, dass er im Moment bei seiner Schwester lebe. » Solange die Behandlung dauert. Haben sich irgendwas Neues einfallen lassen. Weiß gar nicht, warum ich überhaupt nach Hause gefahren bin. Kaum war ich da, traf auch schon einer ihrer verflixten Briefe ein. Ich soll sofort wieder zurückkommen, stand drin.« Er schlürfte seinen Tee. Der Geruch bunter Gummibärchen verstopfte meine Nasenlöcher. » Rumsitzen und Teetrinken«, brüllte er plötzlich. » Nichts als verflixten Tee trinken. Es gab Zeiten, da war das anders. Früher war ich ein richtiger Schluckspecht. Regelmäßig stockbesoffen, sag ich Ihnen, ein echter Schnapsakrobat. Berühmt dafür.« Er blies gurgelnd in seinen Tee, rang nach Luft und verspritzte einen feinen bräunlichen Nebel.
Ich beschloss zu gehen und stand auf. » Auf Wiedersehen.«
» Na gut, auf Wiedersehen. War nett, Sie kennenzulernen. Vielleicht sieht man sich mal wieder. Ich schau oft im Museum vorbei, wenn ich ein bisschen früh dran bin. Kann ja auch nicht den ganzen Tag bei meiner Schwester rumhängen, oder? Mein Scheißhusten macht ihrem verflixten Wellensittich Angst.«
In der Tür blickte ich zurück und winkte ihm. Seine Hand flatterte durch die Trübsal.
*
Im Bus beschloss ich, auch die Donnerstage aufzugeben.
Angelica wirkte nicht besonders erfreut darüber, so früh abgeholt zu werden. Sie quengelte den ganzen Tag. Abends schob ich sie den holprigen Weg entlang zur Arztpraxis.
» Nur ein Zahn, der durchbrechen will. Kein Grund zur Sorge«, sagte der Arzt.
» Auf die Idee bin ich nicht gekommen«, sagte ich. » Tut mir leid. Ich bin umsonst hier.«
» Kein Problem, kommen Sie ruhig jederzeit vorbei. Dafür sind wir schließlich da«, sagte er, obwohl er allein in der Praxis war. » Um Mütter zu beruhigen. Insbesondere die jungen. Mit der Zeit kriegen Sie Erfahrung. Beim nächsten ist es dann schon ganz anders. Viel leichter.« Er lächelte die mittlerweile friedliche Angelica gütig an.
» Es gibt noch einen Grund, weshalb ich gekommen bin«, sagte ich, obwohl das nicht stimmte.
» Und der wäre, meine Liebe?«
Ich erzählte es ihm. Dass jeder Tag zu lang war. Dass ich die Zeit nie angemessen schnell umbekam.
» Sie wollen mir wahrscheinlich sagen, dass Sie deprimiert sind?«
» Ja, das ist es wahrscheinlich.« Er kam aus Nordengland. Ich hatte Mühe, ihn zu verstehen.
» Auch das ist kein Grund zur Sorge. Alles völlig normal. Das gibt es viel öfter, als Sie denken. Wir können Ihnen da gut helfen.« Er füllte ein Rezept aus und riss es vom Block. » Sie werden sehen, diese Tabletten machen eine andere Frau aus Ihnen. Und vor allem: Machen Sie sich nicht so viele Sorgen. Sie haben ein hübsches Baby, auf das Sie stolz sein können. Zögern Sie nicht, jederzeit bei mir vorbeizukommen. Dafür sind wir da. Einen schönen Abend noch.«
Ich nahm das Papierstück und ging. Zu Hause knüllte ich es zusammen und steckte es in den Krug auf dem Kaminsims.
*
Am Freitagmorgen rief ich in der Schule an. Der Stimme des Mannes nach hatten sie noch mehr Aufregung. Gloria sei tot, sagte er. Selbstmord, so wie es aussah. Gerade sei die Polizei in der Schule gewesen, um mit ihren Kollegen zu sprechen. Keiner wisse, warum. Offenbar hatte sie keine Nachricht hinterlassen. Ein Nachbar habe sie gefunden. Sie habe regungslos unter seinem Wasserturm gelegen. Lauter gebrochene Knochen, aber noch nicht ganz tot.
» Sie sind keine Verwandte, oder?«, fragte er besorgt. » Eine enge Freundin oder so? Ich möchte niemanden durcheinanderbringen.«
» Nein. Ich bin Privatdetektivin.« Ich ließ den Hörer fallen.
*
Am nächsten Tag stand eine kurze Meldung in der Zeitung.
James hatte seine Mutter angewiesen, nicht über die Sache zu reden. Auch zwischen uns beiden fiel kein Wort darüber. Ich war erleichtert, fühlte mich aber nicht ernst genommen.
Es gab eine Untersuchung, doch in Ermangelung einer Nachricht oder irgendeines Hinweises auf einen eindeutigen Vorsatz hieß es in den Akten schließlich » Tod durch Unfall«.
Zwei Tage vor der Beerdigung kam Glorias verwitwete Mutter mit dem Flugzeug vom Festland. Sie trug einen Hut mit Blumen und Federn wie die Königinmutter. Vom Flughafen am Stadtrand nahm sie ein Taxi zu Bens Haus. Am nächsten Morgen nahm sie den Jungen mit. Sie fuhren heim nach Sydney, in ihren
Weitere Kostenlose Bücher