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Gleis 4: Roman (German Edition)

Gleis 4: Roman (German Edition)

Titel: Gleis 4: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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gestern so unvermutet aufgebrochen war. Da gab es auch einen alten Freund, dem sie kurz vor ihrem Eintritt ins Spital zufällig in der Stadt begegnet war, sie hatten zusammen einen Kaffee getrunken und Kurzfassungen ihrer Lebensumstände ausgetauscht, und seine Neugier hatte ihr gefallen, sie hatten sich für die Zeit nach ihrer Operation und der Strombolireise ein Treffen vorgenommen, völlig unverbindlich, einfach mal so, wäre schön, gemeinsam Nachtessen, die Art von Treffen, hinter der die Verbindlichkeit geradezu lauerte.
    Sie war in ihren Beziehungen zu Männern nach Sarahs Geburt sehr zurückhaltend geblieben, die Kränkung durch das Verschwinden ihres afrikanischen Geliebten war tief gewesen und hatte sie härter gemacht, aber auch vorsichtiger ihren eigenen Gefühlen gegenüber.
    Sie stellte sich auf ein Leben als alleinerziehende Mutter ein, machte sich keine Hoffnungen auf einen Mann, der sich mit ihr und einem Töchterchen zusammentun würde, hatte während längerer Zeit eine Verbindung mit einem um etliches älteren Architekten, der von seiner Frau verlassen worden war und der sie zu ihrer Überraschung sogar heiraten wollte, aber Sarah, die gerade in die Schule gekommen war, hatte ihn derart heftig abgelehnt (»sonen dumme Löli!«), dass die Hölle programmiert war. Männer waren ihr aber nicht gleichgültig, und so ging sie eine längere Liaison mit einem verheirateten Computerfachmann ein, mit dem sie bei einem Ausbildungswochenende im Bett gelandet war. Ihre Abmachungen mussten stets gut organisiert werden, sowohl von seiner wie auch von ihrer Seite, und das Geheime daran steigerte die Erotik und machte ihr so lange Spaß, bis sie einmal in seiner Jacke einen Zettel fand, auf dem stand »Bis bald! Deine Wölfin.«
    Eine Zeit lang las sie dann doch Heiratsinserate und traf sich einmal mit einem verwitweten Mann, der ebenfalls eine Tochter hatte und erneut eine Familie gründen wollte. »Hast auch Du ein Kind? Kein Hindernis!« war im Text gestanden, aber als sie ihm ein Foto von Sarah zeigte, erschrak er sichtlich und cachierte seinen Rückzug mit Entzücken über das herzige Meitli.
    Isabelle kniete zum Koffer nieder, der die ganze Zeit im Korridor gestanden war und den sie zum Auspacken einfach auf den Boden gelegt hatte, um ihn nicht auf einen Tisch oder ihr Bett heben zu müssen, klappte den Deckel nach unten und zog den Reißverschluss zu, stellte ihn dann auf und sah, dass die Tasche auf der Vorderseite offen war. Bevor sie auch diesen Reißverschluss zuzog, griff sie hinein, aber das Fach war leer, bis auf ein Papier, das sie mit den Fingern ertastete. Sie fasste es, nahm es heraus und sah, dass es ein Zettel mit einer Nachricht war.
    »Bitte aufpassen auf 044 423 57 88« stand darauf. Die Telefonnummer war mit Bleistift geschrieben, der Text mit Kugelschreiber. Die Handschrift kannte sie nicht.
    Sie drehte das Blatt um, auf der Rückseite stand nichts. Es war ein kariertes Blatt eines Notizblocks, am kürzeren Rand war die Perforierung zu erkennen. Langsam ging sie damit in die Küche und setzte sich an den Tisch. Was war das für eine Botschaft und für wen? Und wie war sie in ihren Koffer gekommen?
    Und die Nummer? Sie kam ihr eigenartig bekannt vor. Zu wem gehörte sie? Wer war in Gefahr?
    Gerade wollte sie aufstehen, um im Internet-Telefonverzeichnis nachzusehen, wer hinter dieser Nummer steckte, als ihr klar wurde, dass 423 57 das Altersheim »Steinhalde« war, in dem sie arbeitete, und die 88 war ein Zimmeranschluss. Die zwei Endzahlen waren nicht mit den Zimmernummern identisch, und nach kurzer Überlegung hob sie den Hörer ab und stellte die Nummer ein.
    Nach längerem Läuten wurde auf der andern Seite abgenommen, es folgten aber noch einige Geräusche, als schlüge der Hörer gegen diverse Gegenstände, bis sich eine brüchige Stimme mit »Maurer« meldete.
    »Da ist Rast, guten Tag, Frau Maurer!«
    »Wer?«
    »Rast, Isabelle Rast!«
    »Ah, Frau Isabelle, guten Tag!«
    »Ich wollte nur fragen, wie es Ihnen geht.«
    »Nicht gut – aber sind Sie nicht in den Ferien?«
    »Doch – und warum geht es Ihnen nicht gut, Frau Maurer?«
    »Schmerzen hab ich.«
    »Wo denn?«
    »Es sticht mich überall.«
    »Das tut mir leid. Wissen Sie was? Ich bin heute in Zürich und komme Sie rasch besuchen.«
    »Das ist nicht nötig, Frau Isabelle.«
    »Ja, aber ich komme trotzdem. Bis bald, Frau Maurer!«
    Isabelles Kolleginnen wunderten sich, als sie eine Stunde später in der »Steinhalde«

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