Gleitflug
ins Wohnzimmer kommt.«
Gieles öffnete die Hintertür. Auf der Stufe saß Meike und rauchte. Sie strahlte eine pechschwarze Wut aus, alles an ihr wirkte dunkel, sogar ihre Haut.
»Deine Eltern sind da.«
Sie schaute ihn mit finsterem Blick an, ohne ihn zu sehen. »Die können verrecken.«
Gieles zuckte mit den Schultern und tat, was sein Vater von ihm verlangt hatte.
Meikes Eltern saßen kerzengerade nebeneinander auf dem Sofa. Ihre Schuhspitzen berührten kaum den Teppich. Onkel Fred und Willem hatten auf dem anderen Sofa Platz genommen. Gieles wollte neben niemandem sitzen und nahm sich deshalb einen Stuhl. Die Unterhaltung drehte sich um Vögel. Stare, Krähen und Dohlen seien eine Plage für den Erdbeeranbau, meinte Hannie. Er wirkte weniger angespannt, schwitzte aber noch nach. Einmal glitschte ihm fast die Kaffeetasse aus den Fingern.
»Wir haben einen Falkenkasten mit zwei Turmfalken. Sie vertreiben Mäuse und Vögel, aber es reicht bei weitem nicht.«
Angeliek behielt seine Tasse im Auge.
»Und seit neuestem haben wir Kees, den aufblasbaren Vogelschreck. Er bewegt sich und gibt schrille Töne von sich.«
Das interessierte Willem. »Und erfüllt er seinen Zweck? Hält er Vögel ab?«
»Er ist nicht übel. Nur gehen unseren Rumänen die Töne auf die Nerven. Polen sind nicht so empfindlich, aber die bekommen wir kaum noch«, antwortete Hannie.
Angeliek hatte in der Ecke die ausgestopfte Katze mit der Elster im Maul entdeckt.
Onkel Fred wusste gleich, wonach sie schaute.
»Ein Riesenvieh, nicht? Eine streunende Katze, die mein Bruder auf dem Flughafen gefangen hatte. Dort sind jede Menge.Es gibt Menschen, die ihre Haustiere vor dem Urlaub auf dem Parkplatz aussetzen.«
»Ist des wahr?!«, rief Angeliek und musterte die beiden Brüder.
»Leider ja«, antwortete Fred. »Viele sind sich nicht darüber im Klaren, was es bedeutet, sich ein Haustier anzuschaffen. Es ist einfach ein Jammer.«
»Und ihr seid wirklich Brüder?«, fragte sie ungläubig.
»Zwillingsbrüder«, verdeutlichte Fred. »Sollte man nicht meinen, nicht wahr? Wir sehen uns so gar nicht ähnlich. Abgesehen von unserer Größe, wir sind beide einsneunundneunzig.«
Erleichtert blickte Angeliek ihren Mann an, doch Hannie beachtete sie nicht. Er erzählte weiter von seinen Vogelproblemen. »Früher habe ich eine tote Krähe oder Dohle zwischen den Erdbeerpflanzen auf einen Stock gespießt. Das hat die Artgenossen wunderbar abgeschreckt. Aber Meike hat deswegen immer so ein Theater gemacht …«
Ein Schweigen trat ein, das Onkel Fred gleich richtig deutete. »Eure Tochter«, sagte er fröhlich. »Ich sehe mal nach, wo sie steckt.«
Er zog sich an seiner Krücke hoch und hinkte aus dem Zimmer.
Die anderen schwiegen weiter, bis Angeliek Gieles fragte, in welcher Schule und Klasse er sei.
»Achte Klasse, Wechsel Fachoberschule-Gymnasium«, antwortete er kurz angebunden. Es klang unfreundlicher als beabsichtigt. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er wollte Meikes Eltern blöd finden, weil Meike sie hasste. Aber wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass die beiden ganz nett waren. Sie hatten irgendetwas Rührendes an sich, wie seine Gänse.
Angeliek wagte nicht weiterzufragen. Sie senkte den Kopf und entdeckte den roten Fleck auf ihrer Bluse. Mit ein wenigSpucke an der Fingerspitze versuchte sie ihn zu entfernen. Zwischendurch huschte ihr Blick zur Zimmertür.
Hannie kam wieder auf seinen Falkenkasten zu sprechen, Willem gab ihm Tipps zur Vogelvergrämung und schlug vor, ihm später seinen Dienstwagen zu zeigen. »Ich habe ein paar neue Angstrufe, die sehr wirksam sind.«
Angeliek schaute sehnsüchtig zur Tür.
Gieles bekam Mitleid mit ihr. Als sie Onkel Freds Stimme hörte, spannten sich reflexartig ihre Armmuskeln.
»So, da ist sie«, sagte er leichthin, als er die Tür öffnete. Er trat einen Schritt zur Seite, und Meike wurde sichtbar. In voller Montur und zehn Zentimeter größer als normalerweise. Sie hätte alles Mögliche sein können: eine Schauspielerin in einem Kultfilm der schwarzen Szene, die Hauptnummer in einer Apokalypse-Show oder die Siegerin in einem Gothic-Kostümwettbewerb – nur nicht die Tochter des kleinen Erdbeerbauernpaars aus Zundert. Ausgeschlossen. Hier begegneten sich zwei Planeten, die nicht zum selben Sonnensystem gehörten.
»Hallo, Meike.« Hannie stand auf. Er wischte seine schweißfeuchten Hände an der Hose ab und nahm wieder Platz, da Meike sich nicht vom Fleck
Weitere Kostenlose Bücher