Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
Vom Netzwerk:
losgelassen.
    »Doch«, sagte Frau Geerts energisch. »Jeder passt auf einen Rollstuhl. Auch Waling.« Die schmächtige Frau stellte sich hinter ihn und schob den Stuhl an seine Beine. »Und jetzt langsam runterlassen. Ganz langsam, ja.«
    »Halten die Felgen das aus?«, fragte Waling unsicher, während er seinen gewaltigen Hintern in der schwarzen Jogginghose zwischen die Armlehnen zu pressen versuchte. »Ich glaube nicht, dass es geht.«
    »Ich auch nicht«, sagte Meike trocken. »Du bist zu dick dafür. Gibt’s hier eine Toilette?«
    »Hinten, bei der Garderobe«, antwortete Frau Geerts. Ihre Reptilaugen schauten Meike tadelnd nach.
    Super Waling hatte sich wieder aufgerichtet, er schwankte ein wenig.
    »Die Armlehnen sind doch abnehmbar!« Frau Geerts beugte sich über den Rollstuhl und legte ein paar kleine Hebel um. »Schau mal hier! Ist das nicht eine tolle Erfindung?« Freudestrahlend löste sie die Armlehnen und legte sie auf den Boden. »Versuch’s noch einmal. Sehr gut, langsam … ja, etwas mehr nach links, nein, andere Seite … ja, ja, sehr gut.«
    Sein Fleisch quoll auf beiden Seiten über den Rand des Sitzes, aber er saß. Frau Geerts war zufrieden, sie betrachtete Waling wie eine Mutter, die gerade ihr Baby zugedeckt hat.
    »So«, sagte sie. »Und was kann ich für euch tun? Möchtet ihr ein Glas Wasser? Apfelsaft, Gieles? Du bist doch Gieles?« Sie nahm ihn am Arm und zog ihn zu einer Pinnwand mit Zeitungsausschnitten. »Du bist hier schon eine richtige Berühmtheit. Wir haben noch tagelang von deiner Nummer gesprochen.«
    Gieles hatte das gleiche Foto von Wallie und sich in seinem Zimmer aufgehängt.
    Gieles Slob und sein Tischtennis-Gänschen stehlen allen die Show.
    Auf dem Foto unter der dicken Überschrift saß er auf der Tischtennisplatte. Er lächelte, sein Haar lag zum Glück ziemlich flach. Neben ihm auf der Platte stand Wallie, sie hatte nicht in die Kamera schauen wollen. Weil sie den Kopf gerade wegdrehte, war er auf dem Foto ein klein wenig verwischt.
    Frau Geerts hatte sich dicht neben Gieles gestellt. Sie war noch kleiner als Meike. Von oben wirkte ihre Frisur so flach wie ein Tisch.
    »Deine Vorführung hat mir wirklich gut gefallen. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Wie schafft der Junge das? Ich hatte mal einen Kater, und dem habe ich nicht einmal beibringen können, das Katzenklo zu benutzen. Und du bringst eine Gans dazu, Pingpong zu spielen!«
    Gieles war froh, als Meike zurückkam. Sie ging zu Waling, trat hinter ihn und schob den Stuhl an. Durch die plötzliche Bewegung verlor Waling das Gleichgewicht, fast wäre er heruntergefallen.
    »Du musst dich abstützen«, sagte Frau Geerts. »Mit deinen Stöcken. So, ja, wie beim Gehen. Einfach im Sitzen gehen. So ist’s richtig!«
    Nachdem sie etwas getrunken hatten, machten sie sich auf den Weg zur ersten Etage. Waling nahm den Lift neben der Treppe. Oben zog Meike ihr DOLLY’S-HAIRCORNER -Shirt aus und schlang es sich um die Taille. Dieses Ausziehen und der Anblick ihres rosafarbenen Tops brachten Gieles aus der Fassung. Er wandte sich ab und stellte sich vor die erstbeste Vitrine. Die toten Gegenstände darin halfen gegen seine Erregung. Eine beschädigte Kanne, zerfressene Münzen, ein verrostetes Gewehr. Gefunden auf dem Seeboden nach der Trockenlegung im Jahr 1852 stand auf einem Kärtchen.
    Seine Erektion ging zurück. Möglichst unauffällig drehte er sich nach Meike um. Sie stand mit Super Waling vor einer Sammlung Pumpen. Auf einem Schulterblatt hatte sie ein rundes Pflaster, das er noch nicht gesehen hatte, knapp über dem Rand des Tops. Er wandte sich wieder der Vitrine zu. SeinBlick fiel auf ein braunes Heft. Tagebuch von Sophia Warrens (1825 bis 1915) .
    Jetzt empfand er eine neue, unbekannte Art von Erregung, sie gehörte in eine andere Kategorie. Er hatte das Gefühl, zum ersten Mal mit einer Sache von großer Tragweite in Berührung zu kommen. So ähnlich wie Onkel Fred, der jedes Jahr am 11. September von dem Augenblick erzählte, als das zweite Flugzeug in einen der Twin Towers krachte. (»Ich war im Elektromarkt, um mir einen neuen Wasserkocher zu kaufen, und sah auf zig Bildschirmen gleichzeitig ein Flugzeug in einem Wolkenkratzer verschwinden.«) Gieles war damals noch zu jung gewesen, um die ganze Aufregung zu begreifen. Aber jetzt war er mittendrin. Als sähe er mit eigenen Augen, wie Captain Sully seine Maschine auf den Hudson aufsetzte.
    Er sah die Spuren von Super Walings Vorfahren. Die

Weitere Kostenlose Bücher