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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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fluoreszierenden Pumpwerkgemälde seiner Oma Aletta. Nur nichts von Walings Eltern und dem Flugzeugabsturz.
    Auch Meike hatte die Bilder entdeckt. Sie fand sie »wooky«. Super Waling meinte, wohl nur wenige Menschen fänden die Pumpwerkbilder seiner Großmutter wooky. Die meisten fänden sie eher scheußlich. Gieles hörte, wie seine Stimme ein feines Netz um Meike und die Bilder webte. Er erzählte ihr die Geschichte seiner Oma Aletta. Sie musste das Gefühl haben, dabei gewesen zu sein, als Aletta die giftgrüne Farbe auf die Leinwand pinselte.
    Gieles suchte nach weiteren Anhaltspunkten und sah ein großes altes Foto von einer mageren Frau mit zwei Zöpfen, neben einem Kanal. Sie hatte eine Art Geschirr um die Schultern und zog ein Boot. Ihre Augen lagen so tief in den Höhlen, dass es fast aussah, als wären sie leer.
    »Ist das diese Akkie?«, fragte er. »Aus Friesland?«
    Super Waling im Rollstuhl schaute ihn dankbar an. Gieles kannte keinen anderen Erwachsenen, der einen so ansehen konnte. So aufrichtig.
    »Sie hätte Akkie sein können. Ich glaube, alle Deicharbeiterinnen sahen so ähnlich aus.«
    »Akkie?«, fragte Meike und schnaubte durch die Nase. »Bescheuerter Name. Wer ist Akkie?«
    »Tja«, sagte Waling. »Akkie war eine unglückliche Frau.«
    »Logisch, mit so ’nem Namen.« Sie stellte sich vor das grobkörnige Foto und betrachtete es kritisch. »Sieht echt nicht gerade fröhlich aus.«
    »Diese Frau hat wenig Grund zur Fröhlichkeit«, sagte Super Waling und drehte mit seinen Krücken den Rollstuhl um neunzig Grad. »Erst musste sie auf einer Strecke von gut sechzig Kilometern Schlamm schaufeln und ihre Kinder sterben sehen. Und jetzt muss sie an dem Kanal, den sie selbst mit gegraben hat, Pferdearbeit verrichten. Tag für Tag hat sie dieses Zuggeschirr um die Schultern, und ihr Mann am Steuer des Bootes schreit, dass sie schneller ziehen soll.«
    »So ein Arschraller«, meinte Meike und rieb über das rote Pflaster auf ihrem Schulterblatt.
    »Das kann man wohl sagen. Und wenn es auch unendlich lange her zu sein scheint, die Frau in diesem Geschirr hätte deine Urururgroßmutter sein können. Ein Leben, wie wir es führen, mit all unseren Bequemlichkeiten, das hätten sich damals nicht einmal die Reichen erträumen können. Erst recht nicht so ein Arbeitspferd wie sie. Kein Wunder, dass sie nicht glücklich ist.«
    »Na ja«, schnaubte Meike. »Ich kenn auch niemanden, der glücklich ist«, sagte sie mit kalter Stimme. Waling und Gieles schwiegen, weil sie nicht wussten, was sie darauf antworten sollten.
    Gieles dachte an die Menschen, die er kannte. Dolly und Liedje waren unglücklich. Auch seine Mutter. Sie suchte das Glück im Unglück anderer Menschen, wurde dadurch selbst unglücklich und riss seinen Vater mit sich. Wenn er so darüber nachdachte: Wer war überhaupt glücklich?
    Er drückte Nase und Stirn an die Scheibe der Vitrine. Sie war angenehm kühl. Waling rollte zu ihm hin, er paddelte mit den Krücken.
    »Ich habe die Schlüssel«, sagte er. »Schließ ruhig auf.«
    Gieles öffnete die Vitrine und nahm vorsichtig das Tagebuch heraus. Es fühlte sich an wie eine getrocknete Blüte. Das Papier schien so brüchig zu sein, dass er das Heft nicht aufzuschlagen wagte. Er legte es zurück und strich mit dem Finger über den Umschlag. Das Heft berühren zu dürfen war genug. Er blickte Meike an.
    Ich bin glücklich .
    Auf der Rückfahrt vom Pumpwerk kamen sie an einer Bowlinghalle vorbei. Meike jubelte und bestand darauf, sofort bowlen zu gehen, das habe sie schon hundert Jahre nicht mehr gemacht. Also hielten sie an. Frau Geerts hatte ihnen den Rollstuhl mitgegeben, und Waling schaffte zu seiner großen Freude von seinem Stuhl aus drei Strikes und acht Spares. Musik dröhnte durch die Halle, Meike tanzte schlitternd auf Bahn drei, bis jemand vom Personal sie herunterschickte. Super Waling fragte die junge Frau an der Bowlingschuhausgabe, ob die Musik etwas leiser gestellt werden könne, man verstehe kaum sein eigenes Wort, aber sie antwortete, der Chef wolle das nicht, es mache dann ja weniger Spaß.
    Ich bin glücklich .
    Meike reichte ihnen die Bowlingkugeln an, und jedes Mal spannten sich dabei ihre Brustmuskeln unter dem Top. Zum Verrücktwerden. Sie nahm Super Walings dicke Pratzen in ihre Hände und zog ihn hin und her, ließ ihn rollend schaukeln, schaukelnd rollen, rollschaukeln, bis er fast vom Rollstuhl fiel und sie sich kichernd an Gieles’ Taille festhalten musste.
    Ich bin

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