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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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Kleidung hörte ich plötzlich meine Mutter. Sie rief mich, aber ich konnte ihr nicht antworten. Ich hockte vor dem Cockpit, doch mein Geist schien sich in einer anderen Dimension zu befinden. Hinterher wurde mir gesagt, ich hätte einen Schock gehabt. Was ich sah, war offenbar mehr, als mein unfertiger Geist verkraften konnte. Ich flüchtete mich aus der Wirklichkeit in die wunderbaren Geschichten meiner Mutter über unsere Vorfahren.
    Ich war Ide Warrens und das Flugzeug das Arbeitspferd, das im Schlamm des trockengelegten Sees versank. Ich breitete die Arme aus und legte sie tröstend um eine Scheibe des Cockpits, schmiegte die Wange an das Glas und murmelte, alles werde gut. Schließlich musste mich meine Mutter wegzerren.
    Vom Rest des Tages bekam ich nicht mehr viel mit. Mein Vater fuhr mit Traktor und Anhänger über seine Rüben hin und her, um Tote und Verletzte zu transportieren. Unser Hof und Land wurden mit Drängelgittern und Flatterband abgesperrt, die Kamerateams und Schaulustige auf Abstand halten sollten. Auf dem Grundstück baute man ein Zelt auf, in dem die leblosen Körper abgelegt wurden, in unserem Wohnzimmer drängten sich Retter, aber auch Männer mit Anzügen und Krawatten. Die Überlebenden ohne erkennbare Verletzungen wurden in der Scheune untergebracht.
    Meine Mutter rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn herum, verteilte Kaffee und kannenweise frische Milch von ihren Schwarzbunten.
    Das Schlimmste für sie sei gewesen, sagte sie ein paar Monate später, dass ich sie immer »Sophia« nannte. Sie befürchtete, ich hätte durch die Katastrophe den Verstand verloren, und versuchte mich von allem fernzuhalten. Ich durfte nicht mit meinem Vater auf dem Traktor fahren. Nicht in das Zelt mit den Toten. Mehrmals holte sie mich auch aus der Scheune. Unter den Überlebenden dort war eine Frau, die auf einem Hocker saß. Dieser Hocker hatte in meinem Kinderzimmer gestanden. Sie war über und über mit Schlamm bespritzt und zitterte heftig am ganzen Körper. Sie hatte keine Schuhe an, ihr Rock war zerrissen. Ich sehe das immer noch glasklar vor mir.
    Meine Mutter erzählte mir, ich sei in der Scheune ungewöhnlich selbstsicher aufgetreten, hätte vom Bau neuer Unterkünfte geschwatzt und zu der Frau gesagt, sie brauche sich wegen ihrer Hütte keine Sorgen zu machen. Solche Dinge. Die arme Frau verstand kein Wort, die meisten Passagiere stammten aus der Sowjetunion.
    Gegen Mittag waren die dreißig Toten abtransportiert und alle vierzig Überlebenden aus dem Wrack befreit. Einige, die eingequetscht gewesen waren, hatten schwere Verletzungen. Alsich über den Hof ging, hörte ich jemanden sagen, der Zustand des Copiloten sei kritisch. Aber ich begriff nicht, was ich hörte. Ich war in einer anderen Zeit und irrte umher, weil ich Holz für eine neue Hütte suchte. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, dass ich mit meinem Vater für die Fotografen posiert habe.
    Dann kam Oma Aletta. Sie hatte sich einen Weg durch die Masse gebahnt und an den Drängelgittern mit zwei Polizisten gestritten, die sie nicht durchlassen wollten. Sie war nun um die achtzig, aber ihrer inneren Kraft war niemand gewachsen. Der Mensch, der sie aufhalten konnte, musste erst noch geboren werden.
    Sie sah meinen verstörten Blick, packte mich am Arm und zog mich fort. Dieses Bild sahen wir abends in Omas Haus in den Fernsehnachrichten. Ich in Schlafanzug und schlammbespritzter, offener Jacke, neben mir Oma Aletta in einem modischen silberfarbenen Trainingsanzug. Obwohl sie damals schon einen Kopf kleiner war als ich und eine sehr faltige Haut hatte, war es offensichtlich, dass sie sich um mich kümmerte und nicht umgekehrt.
    Wir gingen mitten durch die Menge der Schaulustigen, man machte uns Platz. Und während der Nachrichtensprecher bemerkte: »Die Hilfsmaßnahmen für die Opfer des Flugzeugabsturzes liefen zügig an«, war zu sehen, dass meine Oma etwas zu mir sagte. Sie hatte mir zugeflüstert: »Hör sofort mit diesem Blödsinn auf, Waling«, weil ich gemurmelt hatte, das Unglück sei eine Strafe Gottes.
    Gegen Abend war ich wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt.
    Zwei Tage später kehrte ich auch nach Hause zurück. Das Wrack lag natürlich noch auf unserem Acker, und die rotweißen Bänder flatterten fröhlich im Wind. Das Zelt für die Toten warverschwunden. Meine Eltern schienen um zwanzig Jahre gealtert zu sein. Mein Vater ging gebeugt, und sein Blick erzählte von dem Leiden, das er gesehen hatte. Meine Mutter

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