Gleitflug
schwankte durch die Gegend, als könne sie nur mühsam das Gleichgewicht halten. Beide waren völlig erschöpft, aber zu höflich, um vor der aufdringlichen Außenwelt die Tür zu verschließen. Jeder wollte mit diesen vorbildlichen Bürgern sprechen. Der Bürgermeister, der stellvertretende Bürgermeister, der Chef des Flughafens, der Direktor der Fluggesellschaft. Und die Medien, die sich mit ebensolcher Wucht auf sie stürzten, wie das Flugzeug sich auf ihr Land gestürzt hatte. Alle lobten plötzlich meine Eltern in den höchsten Tönen.
Sie waren bescheidene Menschen, die sich in der Kirche ganz selbstverständlich in eine der hintersten Reihen setzten, weil sie dort hinzugehören glaubten. Allerdings galt das eigentlich nur für meinen Vater. Er lebte gern im Verborgenen. Seinen Nachnamen sprach er meistens murmelnd aus, weil er Cittersen van Boven so übertrieben fand. Meine Mutter dagegen wollte mehr, sie träumte von einem Platz in der ersten Reihe, nur war mir das damals nicht klar.
Von einem auf den anderen Tag waren Walter und Louisa Cittersen van Boven Helden. Nicht nur im eigenen Land. Mein armer Vater, der kaum ein Wort Englisch sprach, stammelte auch in zahllosen ausländischen Wohnzimmern in die Mikrofone. »I hör Bumm and I see plane. I ride Traktor and I help.« Und dabei zeigt er auf seinen Traktor und zieht verlegen an seinem Mützenschirm, während er noch »No problem, I help« sagt. »No problem.«
Ganze Völker schlossen dieses rührende, bescheidene holländische Ehepaar ins Herz. Sogar über die Schwarzbunten meiner Mutter wurde berichtet. Deren Milch hatte sie ja den Überlebenden in der Scheune zu trinken gegeben, und die Journalisten hielten das offenbar für eine nette Zutat zu ihren Berichten.
Eine katholische Wochenzeitung befragte meine Eltern über ihren Glauben. Dem Artikel nach zu urteilen waren sie die frömmsten Bewohner der ganzen Gegend und hatten gehandelt, wie ihr Glaube es ihnen gebot. Der größte Unsinn natürlich, meine Eltern gingen höchstens einmal im Monat in die Kirche. Die Redakteurin hatte meinem Vater Worte in den Mund gelegt, die überhaupt nicht zu ihm passten. »Es war Gottes Wille, dass wir helfen konnten.« In Wirklichkeit hatte er gesagt, wenn nicht er selbst geholfen hätte, dann hätte es eben der Nachbar getan. »Der hat nämlich auch einen Traktor.«
Die Kamerateams besuchten auch Oma Aletta, aber sie warf ihnen die Tür vor der Nase zu.
So ging es wochenlang. Unser Leben drehte sich nur noch um das zerschellte Flugzeug. Wenn wir tagsüber vom Hof aus dabei zuschauten, wie in ein paar hundert Metern Entfernung Wrackteile mit Kränen auf Tieflader gehoben wurden, zeigten abends die Nachrichten die gleichen Bilder noch einmal.
Acht Tage nach dem Unglück wachte ich mitten in der Nacht auf. Bis dahin war meine Erinnerung an den entscheidenden Tag sehr lückenhaft gewesen, doch plötzlich tauchten die fehlenden Stücke auf. Ich setzte alles zusammen und wusste wieder, was ich gesehen hatte.
Der Pilot war ein Junge mit einer Brille. Er trug ein gelbes Polohemd mit einem kleinen Krokodil darauf. Der Copilot war tot, sein Kopf ein blutiger Brei.
Aber in den Nachrichten hatte es geheißen, der Copilot sei nach der Amputation eines Beines außer Lebensgefahr. Ich ging ins Schlafzimmer meiner Eltern, weckte sie und kroch zwischen sie. Als ich von dem Jungen auf dem Pilotensitz anfing, ging das Licht an, und meine Eltern saßen aufrecht im Bett.
Zuerst sagte meine Mutter, es habe keinen Jungen im Cockpit gegeben. »Du hast dich getäuscht, Waling.«
Mein Vater stand auf und tigerte durchs Zimmer. Ich sagte, ich hätte ganz bestimmt einen Jungen hinter dem Steuer gesehen.
»Liebling, da war kein Junge«, bekräftigte meine Mutter, aber in diesem Moment griff Papa ein.
»Nicht, Louisa. Wir wollen ihn nicht anlügen. Waling muss wissen, was passiert ist. Er hat ein Recht darauf.«
Er setzte sich neben mich und berichtete sachlich über den Hergang des Unglücks. Kurz zusammengefasst: Die Maschine flog mit Autopilot, als der Kapitän, gegen alle denkbaren Gesetze der Luftfahrt, seinen zwölfjährigen Sohn auf dem Pilotensitz Platz nehmen ließ. Vor dem Einschalten des Autopiloten hatte er sogar noch den Kurs um ein paar Grad geändert, damit sein Sohn hinterher denken konnte, er habe tatsächlich das Flugzeug gesteuert. Der Junge begleitete ihn zum ersten Mal auf einem internationalen Flug, und sein Vater wollte ihn beeindrucken. Doch unbemerkt bewegte
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