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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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Flugzeugunglück fast in Vergessenheit geraten. Die Leute sahen nur noch die protzige, moderne Villa und den teuren Schlitten, in dem meine Mutter durch die Gegend fuhr. Es war ein beigefarbenes Mercedes-Kabrio mit dunkelblauem Verdeck. Im Dorf begann man über den geschmacklosen Schmuck zu spotten, mit dem sie ihren sonnenbankgebräunten Körper behängte. Sie wurde zum Gegenstand von Hohn und übler Nachrede. Ihr neuer Reichtum konnte den Mangel an Klasse und Kultur nicht verschleiern. Trotz ihres extravaganten Nachnamens und Lebensstils blieb sie eine Bäuerin, eine Bauerntrine, die ohne eigenes Verdienst die soziale Leiter hinaufgefallen war.
    Zunächst merkte ich nichts von alledem. Bis die Eltern meiner Freundin Fragen zu stellen begannen. Der Flughafen müsse ja außergewöhnlich großzügig gewesen sein. Bei allem Respekt, so viel sei das Stückchen Land doch auch wieder nicht wert, sagte Alices Vater mit einem geringschätzigen Unterton. Und Alices Mutter bemerkte listig, sie kenne einige Bauern, die eine Abfindung erhalten hätten, aber jeden Monat in eine andere europäische Großstadt zu fliegen, das könne sich keiner von ihnen leisten. Die üblichen Abfindungen, rieben mir beide unter die Nase, seien wahrlich kein Jackpot. Doch meine Mutter habe anscheinend den Jackpot geknackt.
    Die Beziehung mit Alice ging in die Brüche, was vor allem an mir selbst lag. Die argwöhnischen Fragen gaben mir das Gefühl, nicht mehr »dazuzugehören«. Später wurde mir klar, dass ichmich getäuscht hatte, aber damals verhielt ich mich so, als würde ich zurückgewiesen, und dann wird man es wirklich. Ich verkroch mich und saß von nun an allein vor meiner schon nicht mehr so neuen Spielkonsole. Mein Kummer und das Geheimnis wühlten in mir. Das letzte Schuljahr war das einsamste meiner Jugend. Ich zog mich ganz in mein Schneckenhaus zurück und kam erst wieder heraus, als ich nach Amsterdam ging, um die pädagogische Hochschule zu besuchen.
    Meine Mutter hatte mir eine bescheidene Wohnung gekauft. Einem Vermieter Geld in den Rachen zu werfen sei doch absurd, meinte sie, und ich sträubte mich nicht. Ich sträubte mich nie, wenn sie mir Geld gab. Nach dem Unglück war ich ein verwöhntes Bürschlein geworden. Doch in der Wohnung in Amsterdam lichtete sich glücklicherweise der Nebel in meinem Kopf. Ich weinte um meinen Vater und ließ mich von Oma Aletta trösten, mit der ich rechtzeitig wieder in Kontakt getreten war. Wir hatten noch vier schöne Jahre zusammen. Meistens kam ich zu ihr und fuhr dann sie und ihre Malutensilien durch die Gegend. Pop-Art und abstrakter Expressionismus lagen hinter ihr. Sie war zu den Polderlandschaften ihrer Anfänge zurückgekehrt. Außerdem spezialisierte sie sich jetzt auf Ölgemälde von Dampfpumpwerken. Wir fuhren zum Ringdeich und stellten unsere Klappstühle ins Gras, sie malte, ich las. Sie verwendete hauptsächlich fluoreszierende Farben. Meine Oma war eine sparsame Frau, und die Farbe aus ihrer Warhol-Periode musste erst aufgebraucht werden.
    De Cruquius war ihr Liebling. Manchmal wies sie mich auf ein neugotisches Element wie zum Beispiel die Spitzbögen hin, oder sie erklärte mir die Funktionsweise der Pumpen und die Technik des Dampfzylinders. Meine Mutter hatte aufgehört, Geschichten zu erzählen, aber meine Oma machte auf ihre Weise weiter.
    »Wenn ich tot bin, bekommst du alle Pumpwerke.« Das sagtesie bei jeder Heimfahrt. Und sie hielt Wort. Sie hinterließ mir vierundzwanzig Bilder.
    Der Kontakt zu meiner Mutter wurde sporadisch und oberflächlich. Am Vorabend meiner Besuche bekam ich oft migräneartige Kopfschmerzen, die erst nach unserer Begegnung wieder nachließen. Diese Besuche liefen immer gleich ab: Zuerst wurde ich herumgeführt. Neuerwerbungen mussten bewundert werden, beispielsweise griechische Götterstatuen im Garten oder ein hoher Schmuckzaun, auf den in großen Buchstaben LCB graviert war. Louisa Cittersen van Boven.
    »Meine Initialen«, erklärte sie überflüssigerweise. Als ich sie an diesem Zaun stehen sah, isoliert von der Außenwelt, in der man sich das Maul über sie zerriss, empfand ich einen Augenblick Mitleid mit ihr. Wie hatte sie sich aufgetakelt! Sie musste todunglücklich sein. Ihre Haare waren nicht mehr rötlich grau, sie war auf ihre alten Tage blond geworden. Ihr schwammiges Gesicht war dick gepudert, und sie trug weiße Tennishosen, obwohl sie nie Tennis gespielt hatte.
    Nur selten unterbrach ich ihr uferloses Geschwätz mit einer

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