Gleitflug
Natürlich, die Schuhe. Sofort zog er sie aus und ließ sie auf der Fußmatte stehen.
»Toon isst erst beim Chinesen«, sagte sie giftig, »und hier behauptet er dann, er hat keinen Hunger.«
»Hauptsache, er isst.« Toon senior zwinkerte Gieles zu. »Setz dich, Junge. Wie geht’s dir? Und deinem Vater? Fred? Deiner Mutter? Ich bin gar nicht mehr auf dem Laufenden.«
Er schlug seine Motorradzeitschrift zu und trank einen Schluck Wein.
»Gut«, antwortete Gieles. »Allen geht es gut.«
Er hatte Toons Vater nie anders als fröhlich erlebt. Vor ein paar Jahren hatte ihn der örtliche Einzelhandelsverband als kundenfreundlichsten Händler ausgezeichnet. Die Urkunde hing in der Metzgerei. Außerdem hatte er eine kleine Bronzeskulptur in Form eines lächelnden Mundes auf einem Stab bekommen. Eine vertrocknete Fotze, sagte Toon während der Verleihung. Alle hatten es gehört, außer Toon senior, der sich gerade übers Mikrofon ausführlich bei all seinen Bekannten bedankte.
Toons Vater sah nicht wie ein Metzger aus, fand Gieles. Untereinem Metzger stellte er sich eher etwas in Richtung Super Waling vor, nur nicht ganz so krass. Aber Toon senior war schlank. Sein Haar war immer so akkurat gescheitelt, dass es künstlich wirkte. Wie aus Nylon. Er hätte ein Modell aus einem der Versandkataloge sein können, aus denen sich Onkel Fred seine Pullover bestellte.
»Reist deine Mutter noch mit ihren Folien durch Botswana?«
»Nein, durch Somalia«, berichtigte Gieles.
Liedje stellte ihm ein Glas Cola hin. Sie hatte ein Stück Holz zwischen den Lippen, auf dem sie herumkaute. Gieles fragte sich, ob sie wohl schon operiert worden war. Er schaute auf ihren Pullover, konnte aber keine Veränderung erkennen.
»Süßholz. Sie hat mit Rauchen aufgehört«, erklärte Toon senior. »Der Arzt meinte, das wäre besser. Sonst sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass ihr Körper später die neue Brust abstößt. Jetzt haben sie erst einmal einen Expander unter dem großen Brustmuskel eingesetzt, eine Art Ballon.«
Er nahm einen Kugelschreiber aus einer Schale, in der ein Stapel Post und ein paar vertrocknete Mandarinen lagen. Damit zeichnete er auf das Titelblatt des Motorradmagazins eine runde Form. Er hatte lange, schmale Finger. Ob er schon einmal ein Pferd geschlachtet hatte, wie Ide Warrens und der Bauer?
»In den Ballon wird hier Flüssigkeit gespritzt.« Auf einen gelben Crosshelm zeichnete Toon senior einen Pfeil, der seitlich auf die runde Form zeigte. »Bis die Haut ausreichend gedehnt ist.«
»Aha«, murmelte Gieles und überlegte, ob der Ballon auch platzen konnte wie die Ballons in Schwänzen, von denen Toon geredet hatte.
»Er macht es schöner, als es ist«, sagte Liedje. Sie band sich eine Schürze um. »Ich lauf mit Schläuchen und ’nem Beutel unter der Achsel rum, für die Wunddrainage.«
»Das ist ja nur vorübergehend, Schatz. Es wird alles gut.«
Liedje legte Fleisch in die Pfanne.
»Auf beiden Seiten zwei Minuten leicht anbraten«, mahnte Toon senior und zeichnete eine Ausstülpung auf die runde Form. »Die Brustwarze kommt später. Die tätowiert der Arzt dann auf. Liedje hätte auch ihre alte Brustwarze behalten können«, sagte er leiser. »Dann pflanzen sie die Warze zuerst in die Leiste ein, um sie da am Leben zu erhalten, könnte man sagen, bis sie wieder zurück kann. Auf die Brust. Aber das wollte Liedje nicht.«
»Nee, danke. Du würdest auch nicht mit deinen Eiern in der Leiste rumlaufen wollen«, sagte sie bissig und warf den Deckel auf die Pfanne.
»Deshalb wird die Warze tätowiert«, fuhr Toon senior unbeirrt lächelnd fort. »Toll, was die heute so alles können, nicht wahr?«
»Tja«, sagte Gieles. Er dachte an Meikes Träne. Sie telefonierten jetzt täglich. Und von Tag zu Tag wurde ihre Sprache verständlicher und Gieles’ Verliebtheit größer.
»Mein Herr Sohn läuft vor mir weg«, rief Liedje unter der Abzugshaube. Sie stach energisch mit einer Gabel in das Fleisch. Das Süßholz hielt sie wie eine Zigarette in der anderen Hand. Das Ende war ausgefranst. »Toon will nichts von der Operation und von Krebs hören. Du bist anders, Gieles, du bringst uns Kuchen. Mein Sohn bringt nur ein großes Maul nach Hause.«
»Jeder ist anders«, erwiderte Toon senior gutmütig. »Und das Wichtigste ist, dass es dir wieder besser geht. Ist das nicht ein Wunder, Gieles? Plötzlich hat man Krebs, aber genauso plötzlich ist er praktisch wieder weg.«
Die Vogelverbrennung hilft!
Liedje, die
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