Gleitflug
sich immer noch über die Bratpfanne beugte, begann zu weinen. »Ich hasse dieses Süßholz.« Sie warf es in den Hundekorb. Lady schlief einfach weiter.
»Gieles ist bestimmt nie frech zu seiner Mutter«, sagte sieschniefend. Sie verzog den Mund, als habe sie Schmerzen, und griff unter ihre linke Achsel.
»Natürlich nicht«, antwortete Toon senior lachend. »Ellen ist ja nie da. Wie lange ist deine Mutter jetzt schon in Botswana?«
»Somalia. Gut sieben Wochen.« Wenn nur Liedje aufhören würde zu weinen.
»Gestern hat sich Toon das letzte bisschen Haar abrasiert.« Ihr Blick hielt ihn fest. »Jetzt sieht er aus wie ’n Skinhead. Ich sag noch: ›Sollen wir das nicht erst mal besprechen?‹ Und er sagt nur rotzfrech: ›Ich besprech mit keinem was.‹ Und schaut mich dabei so gemein an.«
Ihr Kummer schlug in Wut um. Sie knallte eine Schranktür zu. Die Hündin hob den Kopf, Toons Schwester riss sich vom Fernseher los und kam in die Küche. Sie setzte sich bei ihrem Vater auf den Schoß, dabei war sie schon zehn.
»Wenigstens hat Rox dafür reichlich Haare«, sagte Toon senior strahlend und zog an dem langen Pferdeschwanz seiner Tochter.
»Essen wir jetzt?«, fragte sie mürrisch. »Ich hab Hunger.«
»Und was sagst du zu Gieles’ Haaren?«, fuhr Toons Vater fort. »Aufrecht wie Ähren auf dem Feld! Wir haben genug Haar im Haus, als Ausgleich für den Kahlkopf von unserm Toon.«
Verlegen strich Gieles seine Haare glatt.
»Das Fleisch ist gar, und der verdammte Bengel kommt immer noch nicht.« Liedje schnäuzte sich die Nase und nahm ein neues Stück Süßholz aus einer Schublade. Roxanna schlurfte ins Wohnzimmer zurück.
»Habt ihr auch einen Brief vom Flughafen bekommen?« Toon senior suchte zwischen den Umschlägen in der Obstschale.
»Zum Kaputtlachen«, sagte er und faltete den Brief auseinander. »Was die sich jetzt wieder ausgedacht haben! Wollen uns alle abfinden, die Häuser hier abreißen und dann einen Wald aus Pyramiden bauen!« Er warf den Kopf mit dem Nylonhaarzurück und lachte gurgelnd. Seine Zunge war violett vom Rotwein.
»Find ich gar nicht lustig.« Liedje hatte sich nicht beruhigt. Sie biss fest auf das Süßholz, auf ihrem Gesicht erschienen noch mehr Falten. »Die brauchen sich nicht einbilden, dass ich hier weggehe. Nur über meine Leiche. Mein ganzes Leben hab ich hier verbracht. Hier bin ich aufgewachsen und geboren, und hier will ich auch sterben.«
»Geboren und aufgewachsen«, verbesserte ihr Mann.
Liedje schaute ihn verständnislos an.
»Umgekehrt. Erst geboren, dann aufgewachsen.« Er warf einen kritischen Blick auf die Pfanne. »Das Gas, Schatz. Dreh besser ab, sonst wird das Steak zäh. Wär schade.«
»Dann bedank dich bei deinem Sohn«, schnauzte sie.
Toon senior trank einen Schluck Wein und hob den Zeigefinger, als wäre ihm etwas eingefallen. »Ich weiß noch, was unsere Nachbarn zum Abschied gesagt haben: ›Wir sind Statisten in einem sehr schlechten Film.‹ Die konnten gar nicht schnell genug wegkommen, als die neue Bahn eröffnet wurde.«
»So haben sie das nicht gesagt«, widersprach Liedje. »Sie haben gesagt: ›Wir sind hier in einen Horrorfilm reingeraten.‹«
Toon senior suchte Gieles’ Blick, um sicher zu sein, dass er ihm zuhörte, und begann feierlich aus dem Brief vorzulesen.
»Durch die Kombination eines Lärmschutzwalls und geneigter Flächen, wie sie etwa Pyramiden besitzen, mit Geländestufen dahinter wird niederfrequenter Schall optimal reduziert. Die geneigten Flächen der Pyramiden bilden eine Barriere für Schallwellen, bieten jedoch ausreichend Durchlass für Luftströmungen, so dass die Entstehung potentiell gefährlicher Turbulenzen vermieden wird. Auf dem Wall werden … blablabla … Pyramiden unterschiedlicher Höhe mit unterschiedlich geneigten Flächen neben- und voreinander angeordnet. Die Pyramiden bestehen aus … blablabla … schallabsorbierendem Material. Die geneigten Flächen streuen den Schall.«
Toon senior strahlte Gieles an. »Die geneigten Flächen STREUEN den Schall!«
Gieles lachte höflich mit.
»Auf was für Ideen die kommen!« Er hob die Hand, als wolle er ein ausgelassen johlendes Publikum zum Schweigen bringen, und las weiter. »Außerdem KÖNNTE das Gebiet als Wasserreservoir dienen. Um weiterhin eine landwirtschaftliche Nutzung zu ermöglichen, KÖNNTEN auf dem Wasser schwimmende Treibhäuser konstruiert werden. Eine andere umweltfreundliche Innovation wäre die Erzeugung von Solar- und
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