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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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auftätowierte Brustwarzen und Tränen.
    Als sich in seinem Kopf schon alles drehte, fing er an, von einem Bein aufs andere zu springen. Er sah sich im Spiegel überdem Waschbecken: Seine Haare standen hoch, das war schon fast eine Igelfrisur. Egal. Alles besser als der kahlgeschorene Schädel von Toon. Yeah!
    Das Telefon. Blitzschnell schaltete er die Musik aus. Ihre Stimme klang blechern und fremd. Er konnte ihr anhören, dass sie seit Wochen kein Niederländisch mehr gesprochen hatte. Trotz der großen Entfernung und der schlechten Verbindung wurde ihm sehr warm. Schwitzend saß er auf dem Bett.
    Sie fragte, wie es ihm gehe, wollte alles über die kleine Gans wissen, von der er ausführlich geschrieben hatte. Normalerweise waren seine Mails kurz und knapp, aber zu seiner Gans fiel ihm immer sehr viel ein. Dann fragte er, wie es »da unten« sei. So drückte er es meistens aus. Die Namen der Dörfer konnte er sich nicht merken.
    »Es lässt sich aushalten«, antwortete sie. »Obwohl es heiß und trocken ist. Dir würde es hier nicht gefallen. Ich hab noch keinen Vogel gesehen. Schon gar keine Gans.«
    Gieles lachte.
    »Das war ja ein Ding mit Meike und ihrer Träne«, sagte sie schließlich. »Warst du sehr erschrocken?«
    »Nee. Nicht besonders. Aber ihre Eltern schon. Sie finden, dass sie jetzt entstellt ist.«
    »Man kann es doch als persönlichen Ausdruck von Schmerz sehen. Hier in Afrika haben Tätowierungen mehr symbolische Bedeutung als bei uns. Wusstest du, dass Banditen sich hier früher eine Träne tätowieren ließen, wenn sie jemanden umgebracht hatten? Als eine Art Statussymbol.«
    »Erzähl das nicht ihren Eltern«, sagte Gieles.
    Er presste das Telefon so hart an sein Ohr, dass es wehtat.
    »Meikes Mutter hat geschrieben, du hättest meine Mail an Meike geschickt, damit sie nicht nach Afrika geht.«
    Er schwieg.
    »Du müsstest die Zustände hier sehen.« Sie suchte nach Worten. »Die Menschen haben nichts. Ach, mein Sonnenschein, ich weiß ja, dass es für dich schwierig ist, aber …«
    Und weg war sie. Vielleicht hatten ihre Worte noch irgendwo im All einen Satelliten erreicht, aber er konnte sie nicht mehr hören.
    Die Afrikaner haben nichts, okay, aber sie haben dich .
    Das wollte er ihr beim nächsten Mal sagen.
    Er legte den Kopf aufs Kissen, daneben das Telefon. Den PC ließ er an. Nach einer halben Stunde kam eine Mail.
    Es war so schön, deine Stimme zu hören. Natürlich brach hier wieder etwas zusammen, aber wir waren verbunden. Was ich noch hatte sagen wollen: Schon vor Jahrhunderten haben Eltern ihre Kinder tätowiert, um sie wiederfinden zu können, wenn ein anderer Stamm sie gestohlen hatte. So etwas Ähnliches haben wir im Urlaub auch mit dir gemacht. Ich habe in großen schwarzen Buchstaben deinen Namen und den Standort von unserem Kleinbus auf deine Ärmchen geschrieben, auf beide, für den Fall, dass auf einem nichts mehr zu lesen war. Manchmal waren es ganze Wegbeschreibungen. »Dem Waldweg folgen, nach 400m links, dann stromaufwärts.« Du hattest nichts dagegen. Du warst immer ein pflegeleichtes und fröhliches Kind. Manchmal hätte ich auch gern eine Tätowierung. »Ellen: Mutter von Gieles«, damit die Leute hier sehen, dass ich Mutter bin. Deine Mutter. Meldest du dich bald mal wieder?
    Alles Liebe, Ellen

I DE & SOPHIA
Vierter Teil
    Die Nachricht vom furchtbaren Tod des Pferdes brachte Sophia, anders als Ide es erwartet hatte, nicht aus der Fassung. Sie wollte nur nichts davon hören. Auch nicht zu der Stelle gehen, an der sie es geschlachtet und verbrannt hatten. Sie hatte schon mehr als genug Tod und Verderben gesehen. Das Leben in ihr war es, woran sie denken wollte.
    Ide stand nackt vor der Hütte und versuchte mit Wasser und einer Bürste die letzten Blutreste von seiner Haut zu schrubben. Sophia saß auf einer Kiste an der Wand und schaute belustigt zu. Außer dem Hund konnte sie niemand sehen.
    »Du hast einen alten Schwanz«, neckte sie. »Ganz verrostet.«
    Ide drehte ihr den Rücken zu, er war zu erschöpft, um zu antworten. Rotbraune Tropfen liefen in Schlangenlinien über seine weißen Beine. Er starrte auf seine Füße im Zuber. Das Wasser war trüb.
    Sophia stand auf. Sie strahlte. »Ich gehe jetzt Pferdewangen braten. Wunderbare, zarte Pferdewangen. Hmmm.« Sie lachte, machte einen Hüpfer und lief in die Hütte.
    »Ich dachte, du bist krank!«, rief Ide ihr gereizt hinterher.
    Wenn sie ihm gleich von dem Kind erzählte, würde er das Pferd sofort vergessen,

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