Glencoe - Historischer Roman
weiß, wie ihr Mütter seid. Tragt ja die Kinder unterm Herzen und nährt sie von eurem Blut.«
Ja, Sarah hatte Duncan unter ihrem Herzen genährt und mit ihm all die Hoffnungen und Träume, die mit ihm wuchsen: Gott, gib, dass es ein Knabe ist. Gott, gib, dass er stark und schön gewachsen ist, gib, dass Sandy Og mit ihm glücklich ist! Sandy Og war sehr glücklich gewesen, als Sarah sein Kind trug. Sie hatte ihn nie so gesehen: spitzbübisch, mit blitzenden Augen, in jedem Wort ein verstohlenes Lachen. »Jetzt weiß ich, warum Cumhaill in Frieden sterben konnte, nachdem er mit seiner Muirne Finn zeugte«, hatte er an Sarahs Ohr geflüstert. All das hatte Sandy Og gesagt, obwohl er so selten sprach und die Lieder der Fianna nie sang.
Doch dann war die Geburt hereingebrochen, ehe das Kind und mit ihm die Träume und Hoffnungen reif waren. Das Lebenschenken war ein blutiges Schlachtfeld, auf dem Sarah und das Kind hätten sterben sollen; es währte drei Tage, aber am Ende überlebten sie beide. Sandy Og warf keinen Blick auf das, was Sarah ihm geboren hatte, sondern stand auf und ging, als man ihm sagte, seine Frau habe das Schlimmste überstanden.»Lass ihn«, hatte Mairi gesagt. »Er hat Tag und Nacht an deinem Bett gewacht.«
»Ist hart für einen Mann«, hatte Gormal hinzugefügt. »Für Sandy Og erst recht. Weißt du, wie viel Hohn er sich von seinen Kumpanen gefallen lassen muss?«
Das wusste Sarah nicht, nur dass sie ihn enttäuscht hatte. Sie hatte ihn gehen lassen. Und vor dem MacIain bestand sie darauf, dass auch an ihrem Sohn die Probe vollzogen wurde. Jeder wusste: Wenn eine Mutter so etwas forderte, bedeutete es: Ich will das Kind lieber tot, als dass es dem Clan nicht genügt . Und das, obwohl Sarah wie eine Verdurstende auf dieses Kind gewartet hatte.
Der MacIain hatte ihrem Drängen nachgegeben, und daher hatte Sarah wie jetzt Eiblin neben Mairi am Ufer gekniet – wenn auch im Schnee statt im Gras. Mairi hatte die Arme aufs Wasser gesenkt. Das Wimmern des Säuglings verstummte, die Wellen teilten sich, und die Arme der Frau tauchten unter, bis der winzige Leib verschwand. Das Wasser war so eisig, dass die Alte sich auf die Lippen biss, und unhörbar zählten die ringsum Versammelten: Eins für Kraft und Zähigkeit. Zwei für unbeugsamen Mut. Drei für die schützenden Hände alter Götter. Mit Schwappen und Spritzen wurde ihr Kind aus dem Wasser gezogen, und in dem einen Atemzug sah Sarah seine Augen. Weit aufgerissen, der Kranz der Wimpern an die Lider geklebt. Du wirst leben. Unbewegt wartete sie ab, bis ihr Mairi den Knaben, der eisblau angelaufen war, wieder in die Arme legte.
Heute aber war es Eiblin, die ihr Kind an sich drückte, aufsprang und einen Siegesschrei in die Frühlingsluft stieß. Im Nu war John bei ihr, ihr Mann, der Erbe des Chiefs, um Frau und Sohn in die Arme zu schließen. Die rundliche Eiblin schmiegte sich an ihn und presste ihm die Hand aufs Hinterteil, als wären sie allein. »Fraoch Eilean!«, brüllte John, Heideinsel, das war das Motto der MacDonalds, die ihr Geschlecht auf den jungen John von der Heide zurückführten, den heldischen Stammesgründer der Legende. »Lang lebe der Clan MacIain! Lasst uns das Kalb schlachten. Ich stifte für meinen Sohn drei Fässer Wein.«
Das war mehr als großzügig, und zur Antwort ertönte ein dankbares Heulen. Wimmelnd löste der Pulk sich auf, die einen liefen, um das Kalb auf den Rost zu stemmen, und die andern beeilten sich, den Wein in Krüge zu schenken. Noch lachte und grölte alles durcheinander, doch es dauerte nicht lange, bis Musik die Stimmen verschluckte. Pfeifen und Fiedeln klangen auf, und der Tanz begann. Bunte Wolle wippte, Sohlen stampften wie Schmiedehämmer, Haar flog, Schenkel protzten, auf geschwellten Brüsten hüpften Ketten. Lippen teilten sich. Kehliges Lachen versilberte das Dunkel. Sarah, die von ihrem Stein stieg, um nicht mehr alles sehen zu müssen, war noch in den Jahren, in denen Frauen Kinder empfingen, aber Sandy Og kam nicht zu ihr.
Kurz darauf kündeten Hendersons Pfeifen von weiterer Freude: Der MacIain kehrte auf seinem riesigen Grauschimmel zurück. Er ließ sein weißes Haar vom Nachtwind zerzausen und trug seinen gelben Mantel, von dem er prahlte, er habe ihn einem Campbell gestohlen. Hinter ihm ritten Barde und Pfeifer, und seine Hunde umsprangen ihn, wie Bran und Sceolan einst den Helden Finn umsprungen hatten. Als er sein tanzendes Volk erblickte, sprang der Chief gieriger als jeder
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