Glencoe - Historischer Roman
entehren und entwürdigen müssen, wie man mich entehrt und entwürdigt hat. Ich wollte, dass ein anderer von meiner Hand leidet, was ich leide, dass nicht ich auf ewig der Einzige bin, dem der Stolz, das Recht, ein Mann zu sein, herausgerissen ist. Ich hätte nicht Hand an ihn legen müssen, hätte nur einmal ein Mensch mir seine Wärme und seinen Trost geschenkt.
Er hob den Kopf und sah wieder nach dem gelben Licht. Der Himmel wurde dunkel, Wind verlieh dem Regen mehrGewalt, und vor Kälte zogen sich seine Schultern zusammen. Die Tür wurde aufgeschoben, im Spalt zeigten sich weder Magd noch Diener, sondern Helen selbst. Etwas in seiner Brust flammte auf. Jäh hegte er den Wunsch, sie zu rufen. Wünschte, dass sie ihn rief.
Könnten wir einander nicht vergeben, Helen? Könnten wir einander nicht achten und trösten und mehr nicht verlangen?
»Kommst du nicht ins Haus? Meinethalben kannst du zwar draußen bleiben, aber ich will die Tür verriegeln und mich schlafen legen.«
Ich heiße Robert. Sag meinen Namen, Helen. Sag: »Willkommen, Robert.«
»Verschlägt es dir die Sprache? Glaubst du immer noch jedes Mal, wenn du hierherkommst, das schäbige Gut meines Vaters habe sich in einen Palast verwandelt?«
Er ließ die Latten los und schickte sich an, hinter ihr ins Haus zu trotten. Die Schultern zu straffen hätte ihn mehr Mühe gekostet, als er seiner müden Seele abverlangen durfte.
Rob war noch keine Woche in Glenlyon, als ein Bote Besucher ankündigte: das ewige Dreigestirn, Argyll, Dalrymple und Breadalbane, auf dem Weg nach Inverlochy, wo sie die Garnison und umliegende Quartiere inspizieren wollten. Sie wünschten in Chesthill haltzumachen, seine Gastfreundschaft für eine Nacht in Anspruch zu nehmen und die Gelegenheit zu einer Besprechung zu nutzen. Rob hatte diese sogenannten Besprechungen bis zum Äußersten satt. Wie üblich würden die Herren untereinander plänkeln, ohne dass er ein Wort verstand, Breadalbane würde über die karge Bewirtung spotten, Argyll seinen Hass auf sein Heimatland verspritzen und Dalrymple sich in unentwegter Niederschrift ergehen, dass man fürchtete, sich eine falsche Silbe entgleiten zu lassen. Es ginge gewiss um den Eid, um die Weigerung der Chiefs, sich zu ergeben. Am Ende, daran zweifelte er nicht, legte man auch das noch ihm zur Last.
Wenn ich Argyll nur einmal »mein armes Schottland« seufzen höre, springe ich ihm an die Gurgel und ende auf dem Schafott. Rob wusste, dass er zu viel trank. Seit er hier war, saß er nie ohne Krug am Tisch, und seine Haut war wie dünnes Papier, die bei der kleinsten Berührung reißen und freilegen konnte, was darunter tobte. Hinterher wäre der Geschmack in seinem Mund noch schaler, seine Kammern, die auf den Winter warteten, leer, und Argyll, Dalrymple und Breadalbane würden ihrer Wege ziehen, während ihr Gelächter auf seine Kosten in allen Gängen widerhallte.
Aber der Besuch verlief anders.
Zwar kamen die Herren zu Pferd und brachten einen weiteren Gast mit, einen blonden Offizier namens Drummond, aber in ihrer Begleitung befand sich ein Reisewagen, aus dem Bedienstete einen riesigen Schinken, einen Topf Würste, Schachteln mit Naschwerk sowie ein Fass Bier und ein Fass Wein ausluden. Die Mahlzeit aus Hering, Brot und Hafersuppe, die Helen hatte vorbereiten lassen, brauchte nicht erst aufgetischt zu werden. Während des Essens betrugen sich die Herren wie gewöhnliche Gäste, lobten die Hausfrau und beklagten die Beschwerlichkeit der Reise. Anschließend zogen sich Helen und die Töchter zurück, und Rob bat die Besucher ins Herrenzimmer, wo er ihnen notgedrungen einen Trunk aus seinem Whiskyvorrat anbot. Er hatte selbst einen nötig, mehr als einen. Von dem Wein, der zum Fleisch gereicht worden war, hätte er kannenweise trinken müssen, um die geringste Wirkung zu spüren.
»Ich bedaure, dass ich nicht mit Musik aufwarten kann«, suchte er einer höhnischen Bemerkung Breadalbanes zuvorzukommen.
Der Vetter aber winkte ab. »Jetzt ist nicht der Augenblick für Musik.«
Dalrymple schrieb nichts auf, sondern schien abzuwarten.
»Wisst Ihr, was die neue Zeit braucht?«, fragte Argyll, der den angebotenen Sitzplatz nicht eingenommen hatte, sondernam Fenster stehen geblieben war. »Den Mut, Undenkbares zu Ende zu denken. Um das zu tun, sind wir gekommen, mein Freund.«
Er trat an den Serviertisch und breitete eine Landkarte aus, sodass die Ränder über die Kanten lappten. Der junge Offizier, Thomas Drummond, beugte sich
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