Glencoe - Historischer Roman
zum Abschied küsste, war ihr eine Qual, dass sie von einem Hafersack sprachen, den er bringen wollte, und von Hühnern. Dass er tat, als kämen sie noch einmal hierher, als hielte etwas sie fest.
Aber sie würden ja auf schnellstem Wege gehen, auf einen Karren laden, was sie zum Leben brauchten, und wegfahren, einerlei wohin. Selbst wenn ich eine Fahrende bleiben müsste, die auf dem Karren haust und aus den Tälern gejagt wird, würde ich meinen Kopf doch oben tragen. Selbst wenn ich stehlen müsste, um zu essen, wäre ich noch immer besser als ihr. Dass die Kälte sie packte, dass der Wind durch ihren Leib pfiff, kam ihr gelegen, erst recht, dass der Weg das Letzte aus ihr herauspumpte. Gegen die Kälte und Leere, die in ihr waren, schien der Wind geradezu heiter und der endlose Himmel begrenzt.
Erst als der Berghang hinter ihnen lag, entdeckte sie, dass der Schmerz nicht mehr da war. Ich hätte Vater, Mutter und eine Schwester haben sollen, aber ich hatte von ihnen nur den Schmerz. Jetzt bin ich ausgehöhlt und der Schmerz ist tot.
Lichter und Rauchfahnen kamen näher. Ceanas sterbensmüder, überwacher Geist spielte ihr Streiche, ließ sie Gelächter hören und Knistern von Scheiten, belangloses Schwatzen und ein gepfiffenes Lied. Unvermittelt blieb sie stehen.
»Kommst du weiter, a graidh ? Es ist spät. Ich möchte dich in ein Bett bekommen.«
Er war so liebevoll mit ihr gegangen, hatte sie an sich gedrückt und ihr den Kopf geküsst, hatte alles getan, um sie zu wärmen. Dass sie leer war und im Innern erfroren, würde sie ihnnie spüren lassen. Sie hob die Hand und strich ihm über die Wange. Sein Lächeln war müde. »Wenn du schlafen musst, kann ich’s dir nicht verbieten. Aber ich will nicht noch einmal in dein Haus.«
»Warum denn nicht? Wohin willst du sonst?« Er beugte sich zu ihr, nahm ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Ich hätte dir das vorher sagen müssen: Wir können das, was geschehen ist, nur wissen, nicht ändern. Ich weiß, das ist für mich viel leichter als für dich.«
Sie legte ihm die Hand auf den Mund. »Lass uns bald gehen, ja?« Ihre Stimme war schwach. Er bog schon wieder sein Ohr auf, und zum ersten Mal fand sie es nicht liebenswert.
»Ich hab dich lieb«, sagte er. »Das hilft nicht, oder?«
»Mir hilft, dass wir reisen, ehe es Tag ist. Schlaf, wenn es sein muss, aber steh vor den anderen auf, und lad das Nötigste auf einen Karren. Aus dem Haus deines Vaters will ich nichts, du hast ja Wollzeug genug. Ich warte hinter deinem Haus auf dich.«
»Ceana«, sagte er, »es ist gut möglich, dass ich wie üblich alles durcheinanderbringe. Sei mir nicht böse. Mir pfeift’s im Kopf, und ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Vom Gehen!«, schrie sie ihn an. »Hör endlich auf, den Idioten zu spielen! War es nicht bequem, all das Scheußliche zu vergessen und mit dem Kopf in den Wolken herumzuspazieren? War es nicht der leichteste Weg? Du hast mich auch verraten. Sei wenigstens jetzt für mich da und mute mir nicht zu, dass ich mich noch durch die Nacht quälen muss. Bring mich weg! Bring mich endlich weg!«
»Weg von Glencoe, Ceana? Du glaubst, ich gehe mit dir weg von Glencoe?« Er ließ sie los. Er hörte auf, hilflos zu lächeln, zuckte nicht einmal mit den Schultern, sondern richtete sich auf. »Ich würde das nie tun«, sagte er. »Glencoe ist meine Heimat, dieses dort, mit dem verbeulten Dach, ist mein Haus, darunter schläft meine Welt. Wenn wir von hier wegmüssen, will ich Glencoe mitnehmen, aber für heute genügt’s mir, dich insWarme zu bringen. Ich bin noch immer dein Bruder, Ceana, und wenn du mich hundertmal zum Teufel wünschst. Mein schiefes Haus ist auch deins.«
»Habt ihr Ben sprechen können?«
»Ja.«
»Wo ist Ceana?«
»Im Haus von Iain von Inverrigan. Sie wollte nicht hierher.«
»Sandy Og.« Sarah trat vor ihn und suchte seinen Blick.
»Muss ich es dir erzählen?«
»Nein.«
Er erzählte es ihr. Er erlaubte ihr, ihn zu halten, und weinte. Sie strich ihm den Rücken, bis er sich beruhigte, dann küsste sie sein nasses Gesicht. Dicht beieinander setzten sie sich an ihr Fenster. »Es tut mir so leid«, sagte sie. »Du und Ceana, ihr tut mir beide leid. Aber dein Vater auch.«
»Mein Vater und ich sind nicht allein.«
»Ja, du hast recht«, erwiderte Sarah, legte den Arm um seine Mitte und zog ihn so eng zu sich, wie sie konnte. »Aber dein Vater fühlt sich allein. Ich war heute bei ihm. Er glaubt, er hat euch alle verloren,
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