Glencoe - Historischer Roman
nur den armen John nicht, der verstörter ist als er selbst.«
»Er soll froh sein, dass er John hat. Einen besseren Sohn kann kein Vater sich wünschen.«
»Sandy Og?« Sie nahm sein Gesicht in die Hände und sah ihm in die Augen. »Kannst du den verletzten Stolz bitte schlucken? Er ist ein alter Mann und hat getan, was ihm recht erschien – in haltlosen Zeiten an einem Gesetz festhalten, das alt und ehern und beständig ist. Und auch wenn du es mit deinem sturen Ohr nicht hören willst: Er ist mit dem toten Ranald auf dem Pferd nach Inverlochy geritten, weil er dort um dein Leben betteln wollte. Er vermisst dich.«
Sandy Og schluckte zweimal und ließ die Brauen zucken. »Recht so?«
»Lass hören.«
»Mir tut er auch leid. Und ich glaub, ich habe ihn mein ganzes Leben vermisst.«
»Gehst du zu ihm?«
»Gib mir noch Zeit. Wenn wir von König Jamie Nachricht haben, gehe ich.«
»Und wenn kein König nach Lochaber kommt?«
»Sarah«, sagte er, »ich habe von Donald von Sleat gehört, dass er für seinen Vater, der im Sterben liegt, den Eid schwören will. Lochiel schreibt, wenn es zum Schlimmsten kommt, können wir vorgeben, mein Vater sei zu krank, um selbst zu reisen, und John sei außer Landes. Im Winter prüft es kein Mensch, und im Frühling wächst Gras. Vielleicht wollen sie dich und mich dann nicht mehr im Tal haben, aber den Schutzbrief für Glencoe würde uns der Sheriff nicht verweigern.«
Im Kopf rief sie sich jedes Wort noch einmal zurück und lauschte ihm nach. Dann küsste sie ihm die Augen. »Ja, lass dir Zeit. Mach alles so, wie du es für richtig hältst. Ich bekomme wieder ein Kind von dir, Sandy Og. Ich liebe dich.«
Sein Lächeln hob sie sich auf. Sie lehnten die Stirnen aneinander und die Wangen ans Fensterglas. Draußen, in der schwarzen Nacht, begann es silbern zu schneien.
Würde sich jemals jemand fragen: »Was hat Robert Glenlyon gedacht?«
Robert Glenlyon dachte: Helen, Helen. Steh mir nur das eine Mal bei. Wenn der Befehl von Argyll kommt, nimm ihn an dich, und wirf ihn weg. Behalt mich bei dir, verrammle Fenster und Türen, lass sie mich nicht holen. Sag ihnen, dein Mann ist ein Mensch, kein Vieh. Mir sag: »Wir brauchen kein Geld, nur uns selbst. Wir habenalles verkauft, aber das nicht, nicht das letzte Recht, aufrecht zu gehen.«
Mit jeder Nacht, in der Schnee fiel, wuchs Hoffnung. RobertGlenlyon dachte: Bei so viel Schnee bemüht niemand einen Boten, bei so viel Schnee gibt es keine Rebellion, keinen Grund, ein Pferd scheu zu machen oder eine Truppe zu bewegen. Argyll und Dalrymple sind nach London gereist, Dalrymple schreibt auf Willies Weihnachtsbanketten jedes Flüstern von den Wänden mit, und Argyll gräbt die Hände in Peggy Alisons Hintern. Was schert die zwei denn Lochaber? In Lochaber fällt Schnee.
Aber dann kam aus London die Nachricht, dass kein Chief in Lochaber den Eid geleistet habe und daher jetzt aus dem Tiefland Truppen nach Inverness und Fort William verlegt würden. Der wankelmütige Graf von Melville sei seines Amtes als Staatssekretär für Schottland enthoben, sodass fortan Dalrymple das alleinige Schalten und Walten habe. Sonst nichts. Nur Wünsche zur nahenden Weihnacht und der Hinweis, Robert Glenlyon möge sich bereithalten.
Das Porträt, das Rob in seiner Jugend hatte malen lassen – die Locken wie gesponnenes Gold auf dem Spitzenkragen und der Mund bald so fein wie Mädchenlippen –, würde es in hundert Jahren jemand betrachten und sich fragen: Was hat Robert Glenlyon gedacht?
Bringt mir mehr Branntwein , dachte Robert Glenlyon, viel, viel mehr! Und seht her, wie ich mir den Verstand versaufe. Ich weiß doch nichts. Ich hab nichts gewusst. Schaut mich an: Ich bin nicht zum Schlachten geboren; meine Hände sind wie Mädchenhände, die spielen gern das Virginal und streicheln hübsche Dinge. Ein vornehmer Mann bin ich, ich hatte ein vornehmes Haus voll Seide und Kristall, ging ohne Schuhe, um meinen Böden kein Leid zuzufügen, sprach Französisch und Latein, las im Kerzenschein Verse.
Wer mit dem Finger auf mich weist, hat unrecht. Ich bin es nicht, der sein Volk wie Unkraut aus dem Boden reißen will. Argyll ist es, hört ihr? Argyll, Dalrymple, Drummond, Hamilton und wie sieheißen mögen, all diese Namen trommeln mir im Kopf. Ich bin nur einer, der Befehle bekommt und der des Todes ist, wenn er sie nicht befolgt.
Ich liebe mein Volk, seine dunkelblauen Augen, seine dürren, weißen Schenkel, seine gelben Mäntel, sein wildes,
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