Glencoe - Historischer Roman
Reihe der Schießscharten, in denen Wachen Schutz vor dem Schneegestöber suchten, im Licht die Mauer abzeichnete, hätte der MacIain erleichtert sein müssen. Stattdessen platzte die winzige Kapsel, die er in sein Herz gesperrt hatte, und Beklommenheit überschwemmte ihm die Brust. Er war oft hergekommen, stets mit erhobenem Kopf und stolz darauf, der Mann, der Sohn, der Enkel zu sein, der er war. Wenn ich heute von hier weggehe, ist das vorbei. Er warf einen Blick in das vor Kälte aufgesprungene Gesicht seines Sohnes.
»Fraoch Eilean«, sagte Sandy Og. Dann trieben sie ihre Pferde weiter zum Tor und nannten dem Captain der Nachtwache ihr Anliegen. Hinter den Baracken stand ein niedriges Steingebäude, hinter dessen Scheiben Licht tanzte. Das Haus des Gouverneurs. Der Sassenach tut sonderliche Dinge , dachte der MacIain. Er staffiert seine Soldaten so hübsch mit Spitze und Röckchen aus, aber einen altgedienten Kämpen sperrt er in diesen Witz von Haus, als verdiene er keinen Respekt.
»Wer von Euch wünscht, Gouverneur Hill zu sprechen?«, fragte der Captain, ein dick vermummter, englisch sprechender Bursche, gegen den Schneelärm an.
»Ich. Der MacIain von Glencoe.«
»Dann also nach drinnen mit Euch.«
»Ich begleite meinen Vater«, rief Sandy Og schnell, aber der Sassenach, dem vor Kälte die Nase tropfte, schüttelte den Kopf.
»Nur einer. Der Rest wartet hier. Das ist uns mit Euch Galgenvögeln sicherer.«
»Mein Vater ist ein Laird dieses Landes. Beleidigungen braucht er nicht hinzunehmen.«
Bei aller Beklommenheit durchlief den MacIain ein Schwall Wärme. »Lass gut sein. Der arme Kerl ist keinen hochländischen Winter gewöhnt, und wie ein hochländischer Sohn erzogen ist er auch nicht.« Er gab Sandy Og die Zügel seines Ponys und strich ihm über den Handrücken. »Stellt euch irgendwo unter. Hinterher machen wir, dass wir nach Glencoe kommen, und lassen uns von unsern Weibern hätscheln, was?«
Sein Herz trommelte, als der englische Captain ihm die Tür aufschob. Der kleine Raum lag in rötlichem Licht, und über die Wände aus nacktem Stein tanzten Schatten des Torffeuers. Es war so warm, dass der MacIain zu schmelzen glaubte, der Schnee, der in Bächen aus seinen Kleidern rann und auf die Dielen tropfte, stimmte ins Getrommel seines Herzschlags ein. John Hill saß am Schreibtisch, vor sich einen Leuchter mit rußender Kerze. Er war ein Greis geworden. Eine Schrumpelpflaume. Sehe ich nur halb so verhärmt und des Lebens müde aus wie er?
»MacIain von Glencoe.« Der kleine Mann blickte hoch und schenkte seinem Gast das unsichere, um Freundlichkeit heischende Lächeln, das dem MacIain schon vor dreißig Jahren aufgefallen war. »Es ist sehr spät.«
Das weiß ich selbst.
Hill stand auf, schüttelte ihm die Hand und erschrak sichtlich vor deren Kälte. Dann kehrte er auf seinen Platz zurück. »Was verschafft mir die Ehre Eures Besuchs?«
Der MacIain holte so tief, wie er konnte, Luft, nahm seine Schnurrbartspitzen in die Hände und wrang sie. Im Ausatmen befahl er sich, an Glencoe zu denken, nur an Glencoe, an das schwarze Massiv des Bidean nam Bian, das sich aus Morgennebeln löste, an die Spinnweben unter seinem Dachfirst, in denen in der Frühe Tau glänzte. »Ich komme, um den Eid zu leisten.« Er zwang sich, es auszusprechen. »Auf König William.«
»Den Eid?« Er sah das alte Gesicht erbleichen, den dürren Leib in die Höhe schnellen, die Hände sich an die Tischkanteklammern. »Ihr wollt vor mir den Eid ablegen? Aber ich bin ein Soldat, MacIain, nicht mehr als ein Soldat.«
»Ihr seid Gouverneur von Lochaber!«, erwiderte der MacIain, der nicht sicher war, ob Hill lediglich der Schmeichelei bedurfte oder ihm mit seinem entgeisterten Gestammel etwas mitteilen wollte.
»Meiner Treu! Hat Euch jeder Rest soliden Verstandes verlassen? Der Wortlaut der Proklamation ist Euch seit vier Monaten bekannt, morgen um Mitternacht läuft die Frist aus, und Ihr steht hier – vor mir?«
Der MacIain fühlte sich wie ein Knabe gemaßregelt. Er wollte aufbegehren, Hill etwas entgegenhalten, aber es gab ja nichts, nur jähe, blanke, unvertraute Angst.
»Ist Euch nicht klar, dass Ihr mit Eurem unsäglichen Stolz das Leben Eures Clans gefährdet?« Mein Sohn hat mir den seinen ohne Wimpernzucken angeboten. Hätte ich es meinem Sohn überlassen, wären wir in Sicherheit. Hill, der sich wieder in seinen Stuhl hatte sacken lassen, zog einen beschriebenen Bogen Papier heran und las mit Pausen nach
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