Glencoe - Historischer Roman
müsst!«
»Mein Vater hat ein Empfehlungsschreiben von Gouverneur Hill auf Fort William.«
Von wegen, du sagst kein Wort, Sandy Og. Der MacIain riss sich die Kragenbänder am Hemd auf, nestelte Hills Brief heraus und schleuderte ihn auf den Tisch.
»Ich denke, Ihr seid es, der besser zuhören sollte«, versetzte Ardkinglass, zog lustlos den Brief heran und überflog die Zeilen. »Meine Antwort habt Ihr bereits erhalten. Die Frist ist abgelaufen. Kein Sheriff im Land kann Euch heute noch den Eid abnehmen, und was Colonel Hill betrifft, so meint er es gut, aber mit seinen hehren Episteln kehrt er ja die Zeit nicht um.«
Wenn das einer könnte, dachte der MacIain. Nur das eine: Wenn das einer könnte. In seiner Kehle klemmte ein Stein, der sich nicht schlucken ließ, und hinter den Augen klemmten weitere Steine, die auf die Augäpfel drückten, wie um sie aus den Höhlen zu quetschen. Verflucht, du Sauhund, willst du dem Sohn neben dir denn gar nichts ersparen? Aber dem MacIain half nichts mehr, kein Rütteln, kein Reißen am Riemen. Er gab auf, ließ es geschehen. Die Tränen rannen ihm die Wangen hinunter, über den Hals und in den Kragen, es kamen immer neue, als zwinge ihn ein höhnisches Schicksal, die Tränen eines Lebens nachzuweinen. Die Laute, die nicht anders klangen als bei einem Kind, waren schlimmer als die Tränen, und keines von beidem ließ sich aufhalten. Irgendwann kamen keine Tränen und auch keine Laute mehr. Irgendwann war alles vorbei.
Er würde nie wieder aufblicken können, nie wieder in irgendein Gesicht sehen. Von ihm würden sie vor dem Cairn von Glencoe nicht sprechen, wenn es in hundert Jahren noch einen Cairn von Glencoe gab. Sein Name, MacIain der Zwölfte, würde nicht lauthals genannt, sondern hinter Händen geflüstert werden: Das war die Memme, die vor den Bütteln des Willie geheult hat wie kein Weib.
»Ich habe die Herren des Stadtrats zusammenzurufen«, vernahm er die Stimme von Ardkinglass. »Die Vorschrift verlangt sie als Zeugen, zudem sind zwei Schreiber nötig, und all dies in die Wege zu leiten braucht Zeit. Kommt morgen früh wieder. Falls dann alles bereit ist, nehme ich Euch als Sheriff von Inveraray den Eid ab und stelle für Euch und Euren Clan den Schutzbrief aus.«
Sie gingen die Stufen hinunter und hinaus auf die Straße. Der MacIain taumelte. Es schneite schon wieder. Sandy Og sah ernicht an. Er hätte ihm gerne noch etwas gesagt, ein Wort, das er bei sich behalten konnte, um seinem Vater vielleicht zu vergeben, wenn der begraben war. Was aber sollte das sein? »Wir haben’s wohl falsch gemacht«, murmelte er in die Fußspuren, die sie auf dem Herweg hinterlassen hatten und die sich jetzt rasch mit Schnee füllten. »Nein, wir waren nicht weise, wir waren zu wild auf das Leben. Wir haben jedes Lied gesungen, als sei es das letzte auf der Welt.« Wenn sein Sohn nicht verstand, was er vor sich her lallte, war es ihm kaum zu verübeln, denn der MacIain verstand es nicht besser.
»Ich will auch, dass jedes Lied gesungen wird, als sei es das letzte auf der Welt«, entgegnete Sandy Og. »Nur kann ich leider nicht singen.«
Als kleiner Junge hast du’s gekonnt. Es ist dir im Halse stecken geblieben.
»Willst du noch, dass ich dir sage, was ich von dir halte?«
Nein, will ich nicht, dachte der MacIain.
»Das, was du über Lochiel gesagt hast, ist Unsinn.« Sandy Og hob den Arm und ließ ihn schwer auf die Schulter seines Vaters fallen. »Du kannst ihm das Wasser reichen – einerlei, welchem König du schwörst. Du bist der König von Lochaber. Lass uns morgen aufbrechen, sobald du von Ardkinglass kommst. Wenn wir uns wie die Teufel ins Zeug legen, sind wir in drei Tagen in Glencoe.«
Aus Ballachullish, Februar 1692
An den Kommandanten Seiner Majestät, Captain Robert Campbell von Glenlyon.
Sir, Euch ist hiermit befohlen, über die Rebellen, die MacDonalds von Glencoe, herzufallen und einen jeden im Alter unter siebzig Jahren dem Schwert zu überantworten. Euch ist ferner befohlen, besondere Sorge zu tragen, dass der alte Fuchs oder einer seiner Söhne unter keinem Umstand Euren Händen entrinne. Ihr habt alle Fluchtwege abzusperren, sodass kein Mann davonkommen kann. Dieses habt Ihr um Schlag fünf Uhr in der Frühe zu vollstrecken. Ich werde anstreben, mich um diese Zeit oder geringfügig später mit Verstärkung anzuschließen. Sollte ich jedoch nicht um
fünf bei Euch eintreffen, so habt Ihr nicht auf mich zu warten, sondern loszuschlagen. Es wird auf
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