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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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ohne Probleme aufschieben.
    Lauschen.
    Stille.
    Othello setzte einen Vorderhuf ins Innere, auf kalten, blanken Stein, dann einen zweiten. Er wollte gerade einen Hinterhuf nachziehen, als sich die Stimme wieder meldete.
    Jeder Weg ist in Wahrheit zwei Wege, sagte die Stimme. »Hin und zurück«, dachte Othello. Er erstarrte. Der Weg zurück ist immer der wichtigere, fügte die Stimme etwas spöttisch hinzu.
    Der schwarze Widder schnaubte ungeduldig. Er war ärgerlich auf sich selbst. Wenn sich die Tür nach innen aufdrücken ließ, war es noch lange nicht sicher, dass das in die andere Richtung ebenso leicht gehen würde.
    Othello tat ein paar Schritte zurück, bis sein Hinterteil wieder im Licht war und drei lange Schattenhinterteile warf. Senkte die Hörner. Dann preschte er los. Angriff- Aufprall – Parade mit erhobenen Hörnern. Eine elegante Bewegungssequenz, die ihm in jedem Widderduell Respekt eingebracht hätte.
    Die schwere Holztür schwang weit auf. Einen Moment lang sah Othello Bänke im Mondlicht, aufstrebende Pfeiler, eine hohe Kuppel. Eine Manege?
    Die Tür schwang zurück und schob einen Hauch von Staub vor sich her. Schwang über den Türstock hinaus nach draußen. Wieder zurück. Wieder nach draußen. Hin und her. Jetzt war er sich sicher: Er würde die Tür von innen genauso leicht aufdrücken können wie von außen.
    Othello wartete im Schatten des Eingangsportals, bis wieder Stille eingekehrt war. Dann wartete er weiter. Seine Wut war einer kalten Geduld gewichen. Bald würde er Gott für die Schmerzen, das Leid und die vielen gierigen und gleichgültigen Augen dieser Welt zum Duell fordern.
    Als er dann auf dem glatten Steinboden stand und die Tür hinter ihm das Licht abschnitt, war Othello doch unheimlich zumute. Zu vieles hier erinnerte ihn an den Zirkus. Die Orgel, die zu den schrecklichsten Dingen fröhliche Musik machen konnte. Die leeren Zuschauerbänke. Die Plattform. Dort standen Requisiten der Vorstellung: Ein Mikrofon, ein Podest, ein Bänkchen. Ein Spalier aus Eisenspitzen und brennenden Kerzen. Othello konnte sich gut vorstellen, wie Tag für Tag unglückliche Kreaturen über dieses Hindernis getrieben wurden. Zur Freude der Zuschauer. Zweifellos hatte Cloud damals so eine Vorstellung erlebt. Othello war froh, dass er Gott aufgespürt hatte. Das Zuschauen musste aufhören.
    Er trabte zwischen den Bankreihen hindurch. Ein dicker roter Teppich dämpfte jeden Huftritt. Der rote Teppich war nur für die Artisten gemacht. Die Menschen. Wehe dem Tier, das aus Versehen einen Fuß darauf setzte. Othello war das jetzt egal.
    Dann hörte er ein Geräusch. Ein kleines gequältes Geräusch, wie von einer schlecht geölten Tür. Oder konnte es ein Tier gewesen sein? Ein Mensch? Othello spähte vorsichtig durch die Bankreihen. Vor ihm tanzte dicker Staub im Mondlicht. Dahinter wartete ein Gestell. Und darauf hing, mehr tot als lebendig, eine menschliche Gestalt. War das Geräusch von ihr gekommen? Othello schauderte: das Opfer einer Messerwerfernummer! Es sah nicht wie ein Unfall aus. Wer immer die Messer geworfen hatte, hatte genau gewusst, was er tat.
    Als Othello noch näher gekommen war, wurde ihm klar, dass das Geräusch nicht von dem Menschen gekommen sein konnte. Cloud hatte Recht. Man konnte kein Blut riechen und Othello verstand auf einmal, warum: Die Gestalt war aus Holz.
    Seltsamerweise beruhigte das Othello nicht. Er wusste, dass Menschen Dinge aus Holz formen konnten. Warum sie aber solche Dinge formen wollten, war mehr, als ein Schaf verstehen konnte.
    Irgendwo in Gottes Haus knarrte eine Tür.
    Schritte.
    Gott?
    Der Langnasige war am anderen Ende des Raums durch eine Seitentür erschienen. Er trug ein kleines, tanzendes Licht.
    Othello glitt lautlos wie ein Schatten zwischen den Bänken hindurch. Über einen Streifen Mondlicht zur Wand. Dort stand ein hölzerner Verschlag. Davor ein schwerer samtener Vorhang. Dahinter ein Geruch von Stein, Holz und Staub und ein bisschen Angst. Othello zögerte.
    Das tanzende Licht kam näher.
    Othello kletterte eine Holzstufe hinauf und verschwand in dem Verschlag. Die Falten des Vorhangs schwangen. Hin und her.
    Doch der Mann ging vorbei.
    »Er weiß nicht alles!«, dachte Othello triumphierend.
    Der Vierhörnige bewegte keinen Muskel. Als sich der Vorhang beruhigt hatte, sah er sich vorsichtig in dem Holzverschlag um. Eine Bank. Seitlich eine vergitterte Öffnung. Zur Belüftung vielleicht. Eine Transportkiste für Menschen? Der Geruch passte

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