Glennkill: Ein Schafskrimmi
Hufen Halt fand und die Beine heraufkroch wie kleine Spinnen. Die Beine juckten ihm, es war nicht gut, an die Spinnen zu denken. Sie versuchten, das Herz kalt zu machen, und krochen ihm in die Nase. Das Laub hatte ja doch Recht. Selbst in der Schwalbenziehzeit flüsterte es aus den Hecken, von den Stechpalmenbüschen, dem nimmersatten Efeu im Unterholz, den kleinen Kiefern und aus der eigenen fröstelnden Seele: Der Weg zurück ist immer der wichtigere. Er glaubte es ihnen allen. Er glaubte es auch den Krähen, die seinen Rücken von Parasiten befreiten, das Zurück aber unversehrt ließen. Schwarze Schwingen auf seinem Rücken, heisere Glanzaugen. Denn auch die Schwalben kehrten mit dem Laub zurück.
Jetzt hatte sich der Weg zusammengerollt wie eine Assel, war zu einem einzigen Schritt geworden. Nach dem Schritt grasten sie und waren wie Wolken von Winteratem, warm und lebendig in einer leeren Welt. Er sah den Schwarzen unter ihnen, mit der wütenden Seele und den vielen Wunden unter der Wolle. Der Schwarze gehörte jetzt hierher. Wer konnte dafür sorgen, dass jemand an einen Ort gehörte? George hatte es gekonnt, verbinden und trennen, besser als jeder Schäferhund. George hätte ihn zusammentreiben müssen, all die vielen verstreuten Schafe, mitten ins Zurück hinein. Aber George hatte zu tief unter den Dolm gesehen, Stein und Bein. Er sah den, der wie ein Spiegel aus glattem Wasser war, und sah, dass sein Bauchfell schlaff herabhing. Aber die Hörner waren gewunden wie der Weg, gewunden und stolz wie seine eigenen.
Seine Seele galoppierte los.
Doch er stand noch. Stand da und sah ihr nach. Nur noch ein Schritt, ein einziger Schritt. Niemand hatte ihm gesagt, dass es der unmögliche Schritt war. Traurigkeit, genug um den Mond anzuheulen, wie es seine Krähen heimlich taten, wenn sie dachten, er würde es nicht merken. Es gab keine Brücke, die ihn über diesen letzten Schritt bringen konnte, keine Furt, wo das Wasser seichter gewesen wäre. Am letzten Schritt zu ertrinken, das hatte er nicht erwartet. Seine Hörner bohrten sich wie Schrauben in die vergehende Nacht. Und doch, doch … es gab eine Furt, man konnte sie bauen, mit Worten, alten Worten, liebevoll bewahrt in der Seele, die vielen Jahre, gedacht wie Zauberformeln, immer und immer wieder. Jetzt suchte er nach ihnen. Aber seine Seele war so groß geworden, so verwirrend und eng, Wege um Wege um Wege, alle Wege, die er je gegangen war, und er konnte die Worte nicht mehr finden. Musste er aber. Schnell musste es gehen, denn die Wolligen waren vergänglich wie der Winteratem, und unter dem Dolm saß schon der stumme Schäfer, und seine blauen Augen glänzten. Der Tag kam langsam übers Meer gefahren und drohte ihn zu vertreiben, wie ihn schon vier andere Tage vertrieben hatten. Der fünfte Tag. Der fünfte Tag war der Tag des Zurücks. Er zögerte.
12
Im Morgengrauen war Miss Maple das erste Schaf auf der Weide. Sie konnte sich nicht daran erinnern, überhaupt geschlafen zu haben. Irgendetwas ließ ihr keine Ruhe. Ein Traum? Nein, kein Traum, eher die Erinnerung an einen Traum, den Traum von den halben Schafen. Ihr war so, als läge wieder diese Witterung in der Luft, wie von vielen Schafen, nur unvollständig, fremd.
»Gabriels Schafe«, dachte Miss Maple. Aber im gleichen Augenblick wusste sie, dass es das nicht sein konnte. Gabriels Schafe waren einfach auszuwittern, eine Herde aus jungen ein und zweijährigen Schafen und Widdern, undifferenziert, flach. Die halben Schafe waren nicht jung. Zumindest nicht alle. Einige sehr alte Widder waren dabei, Mutterschafe und Lämmer, Erinnerungen, Erfahrungen, Raffinesse, jugendlicher Übermut, Unschuld. Eine komplette Herde eben. Nur nicht wirklich komplett, sondern halb. Seltsame Geruchsfäden hingen in der Luft.
Dann sah sie Ritchfield im Morgennebel stehen. Auf George’s Place. Maple dachte einen Moment, er wäre tot. Nicht, weil er so regungslos dastand, das war nichts Ungewöhnliches bei alten Widdern. Sondern wegen der Vögel. Auf Ritchfields Rücken saßen drei Krähen. Und welches lebende Schaf hätte geduldet, von Krähen als Aussichtsplatz missbraucht zu werden? Sicher nicht Sir Ritchfield. Eine der Krähen breitete die Flügel aus und krächzte heiser in die morgenkühle Luft. Es sah aus, als wären Ritchfield kurze schwarze Schwingen gewachsen. Maple lief ein Schauer über das Fell.
Plötzlich spürte sie eine Bewegung in ihrem Rücken. Sie fuhr herum, mit allen vier Beinen zugleich in der
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