Glennkill: Ein Schafskrimmi
klar sein. Außerdem ist Ham keine Gefahr. Warum sollte er jetzt auf einmal was machen? So gern hat er George auch wieder nicht gehabt. Der hat seine Kamera und seine Metzgerei und den Fernseher, und damit ist er zufrieden. Nein, nein, um Ham brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
An Gottes Stimme war leicht zu erkennen, dass er sich große Sorgen um Ham machte. Das kam Othello seltsam vor, nachdem er vorher gerochen hatte, wie sehr der Langnasige den Metzger hasste. Othello begann, nachdenklich auf einem Stück Leder herumzukauen, das von der Polsterung der Sitzbank herabhing. Auf einmal hatte er keine Angst mehr. Er freute sich sogar darauf, sich bemerkbar zu machen.
»Kate«, sagte Gott, »das ist doch todsicher. Solange Kate hier ist, wird Ham sich hüten, die Pferde scheu zu machen. Gerade jetzt, wo sie wieder frei ist. Der ist vielleicht sogar dankbar, dass George tot ist. Lass Ham aus dem Spiel, hörst du?«
Othello gab ein räusperndes Geräusch von sich. Der Langnasige nahm es als Zustimmung.
»Ich bin froh, dass du es auch so siehst«, sagte er. Plötzlich war sein Gesicht ganz nah am Holzgitter. »Und was die Sache mit dem Gras betrifft …«, raunte er.
Othellos Kopf wanderte ebenfalls nahe an das Holzgitter, bis er nur noch einige Zentimeter von Gottes Nase entfernt war. Gottes Nase schnupperte unruhig. Othello wunderte sich, dass er auf einmal über so vernünftige Sachen wie Gras sprach.
Doch jetzt hatte der Langnasige aufgehört zu sprechen. Er starrte mit glitzernden Augen durch das Gitter.
»Bist du das?«, fragte er.
Othello blieb stumm. Plötzlich sprang Gott aus seinem Kasten und zog den Vorhang vor Othello weg. Mondlicht strömte herein. Einen Atemzug lang bewegte sich keiner von ihnen. Dann blökte Othello los, ein schauriges, angriffslustiges Blöken, das durch den ganzen Raum hallte.
Der Langnasige stieß einen hohen, spitzen Schrei aus. Er rannte durch die Bankreihen, stolperte, kam wieder auf die Beine, sprang in einem großen ungelenken Satz über das Eisengestell mit den Kerzen hinweg und verschwand in der kleinen Tür, durch die er gekommen war. Othello sah ihm zufrieden nach.
Als Othello das Haus Gottes verließ, trabten wieder zwei Schafsschatten neben ihm her, und ein langer, sehr blasser trabte ihm voran. Aber die Nachtvögel in den Bäumen sahen etwas Seltsames, etwas, das die Schattensymmetrie des Lichtes gründlich durcheinander brachte. Denn es gab noch einen vierten Schatten, einen Schatten, der in einigem Abstand hinter Othello hertrabte. Einen sehr zottigen Schatten, der lange, gewundene Hörner hatte.
*
Wie die Wolken, ruhig und voll gefressen wie die Wolken, süß duftend nach jugendlicher Vielheit, grasten sie über die morgendämmrige Weide. Ahnungslos vor der Nacht, die sich über das Gras geschlichen hatte. Unter dem Dolm hockte sie noch, ihre Sterne tote Augen auf Gebein, kein Wunder, dass sie nicht glänzten. Er wusste, dass der Dolm für den Tod gebaut war, ein Schäferwagen für den Tod, ohne Räder natürlich, denn der Tod kann warten. Ein Singsang von modrigen Fängen lauerte dort. Es braucht keine Spaten, um die Geduld des Todes zu beweisen.
Jenseits des Dolms graste die Jugend, seine eigene, mit starken Gelenken und schwimmender Freude im Bauch, aber so dumm, so dumm, dass sie einem Leid tun konnte in ihrem Glück. Jenseits des Dolms war die Weide, die es nicht geben konnte: das Zurück. Er hatte es auf der ganzen Welt gesucht. Unter glatten Steinen, hinter dem Wind, in den Augen der Nachtvögel und auf dem Wasser weicher Teiche. Dort hatte er nur sich selbst gesehen, und es war ihm schnell zu viel der Gesellschaft geworden – wenn er nicht das Zurück entdeckt hätte. Hinter seinen Ohren saß es und lachte, kein Wunder, dass er es nicht hatte finden können in der Welt. Das Zurück war ein Weg. Er hatte es die ganze Zeit mit sich getragen, aber nur in den Haarspitzen, wo der Regen es kühlte, wo es kitzelte, ohne dass er es merkte. Zu viele Parasiten in der Wolle, und man konnte sich nicht sicher sein, dass das Zurück keiner von ihnen war.
Der Weg zurück ist immer der wichtigere, erzählte das Laub. Überall erzählte es dasselbe, und man musste ihm glauben, dem duftenden, atmenden Fell der Welt, auch wenn es selbst immer wegwuchs, auf der Flucht vor dem Braun. Doch wenn die Luft begann, nach kaltem Rauch zu riechen, Schwalbenziehzeit, Zeit der dunklen Tage, kam das Braun doch über den Boden. Dann hieß es aufpassen, dass es nicht an den
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