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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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an der Wand des Heuschuppens. Gabriels Grinsen gefror auf den Lippen. Seine blauen Augen sahen plötzlich nicht mehr aus wie Eis, sondern wie Schmelzwasser, unstet und schmutzig. Die Sense fiel ins Gras.
    »Shit!«, sagte Gabriel. »Scrapie. Shit! Shit! Shit!«
    Die Schafe torkelten noch immer mit zittrigen, unnatürlich hochbeinigen Bewegungen durchs Gras, als Gabriel schon längst nicht mehr zu ihnen hinübersah. Die Sache machte ihnen ungeahnten Spaß. Gabriel hatte sofort seine Hunde herbeigepfiffen. Jetzt riss er eine Lücke in den Drahtzaun, den er erst vor wenigen Tagen so mühsam aufgebaut hatte. Was die Schafe dann sahen, war ein Meisterwerk der Hütekunst. Innerhalb weniger Herzschläge hatten Gabriels Hunde seine Schafe aus der Umzäunung getrieben, in feinster Ordnung, ohne dass auch nur ein einziges der nervösen Gabriel-Schafe in Panik geraten wäre. Einige Augenblicke später war eine Staubwolke auf dem Feldweg und die leere Drahtumzäunung das Einzige, was noch an Gabriel und seine Schafe erinnerte.
    »Den sehen wir nie wieder«, sagte Heide zufrieden.
    »Doch«, sagte Maple. »Den sehen wir wieder. Heute Mittag, wenn die Schatten kurz sind. Unter der alten Linde. Vielleicht kommt es heraus.«

18
    »Testament von George Glenn«, sagte der Anwalt. »Abgefasst und unterschrieben am dreißigsten April neunzehnhundertneunundneunzig im Beisein dreier Zeugen, einer davon vereidigter Anwalt, sprich: ich.«
    Der Anwalt sah in die Runde. Hinter den Brillengläsern glitzerten zwei neugierige Augen. Nicht nur die Bewohner von Glennkill waren gespannt darauf, was nun passieren würde. Der Anwalt war es auch. Unter der Linde herrschte eine Stimmung wie vor einem Sommergewitter: Böse wartend. Furchtsam gespannt. Stumme, drückende Hitze. Ein Gewitter in den Köpfen.
    »Vorzulesen am Sonntag nach meinem Tode, oder einen Sonntag später, um zwölf Uhr mittags unter der alten Dorflinde von Glennkill.« Der Anwalt blickte auf zu dem Blätterdach über ihm. Ein Blatt war herabgeschwebt und hatte sich auf seine makellos geschneiderte Schulter gesetzt. Er zupfte es ab und drehte es vor seinen Augen hin und her.
    »Fraglos eine Linde«, sagte er. »Aber ist es auch die Dorflinde?«
    »Jaja«, sagte Josh ungeduldig. »Das ist die Dorflinde. Fangen Sie schon an.«
    »Nein«, sagte der Anwalt.
    »Nein?«, fragte Lilly. »Sie haben uns alle hierher bestellt, um uns nichts vorzulesen?«
    »Nein«, sagte der Anwalt wieder.
    »Also doch?«, fragte Eddie.
    Der Anwalt seufzte. Plötzlich glitzerte an seinem Handgelenk eine Uhr. Eine feine Uhr, wie sie George zur Arbeit im Gemüsegarten getragen hatte. »Es ist exakt elf Uhr sechsundfünfzig. Glauben Sie mir ruhig.« Das galt denjenigen unter den Zuhörern, die ihre eigenen Armbehänge gezückt hatten. »Vor zwölf Uhr kann ich Ihnen leider nicht dienen.«
    Die Menschen begannen zu murmeln. Ärger, Empörung, Nervosität und sogar ein wenig Erleichterung schwangen in ihren Insektenstimmen mit.
    Geführt von Othello wagten sich die Schafe näher heran. Sie waren zur Zeit der kurzen Schatten aufgebrochen, alle zusammen, um zu beobachten, ob aus dem Testament etwas Entscheidendes herauskommen würde. Der Mörder, oder wenigstens ein wichtiger Hinweis. Niemand beachtete sie. Othello hatte ihnen eingeschärft, dass sie sich lautlos und beiläufig wie Hunde an die Menschen heranschleichen sollten. Aber selbst wenn sie laut blökend unter die Linde galoppiert wären, hätte es kaum jemand bemerkt. Die Menschen waren viel zu sehr mit ihren Uhren beschäftigt.
    Die Kirchturmuhr schlug zwölf. »Jetzt!«, tuschelten die Menschen unter der Linde. Doch der Anwalt schüttelte den Kopf. »Sie geht falsch. Sie sollten das bei Gelegenheit richtig stellen.«
    Wieder wütendes Gemurmel. Dann verstummten die Menschen, einer nach dem anderen. Mopple sah wieder die Angst, wie sie mit ihrer wehenden Mähne durch die Reihen spazierte, dem Wirt Josh um die Beine strich wie eine Katze, Eddie kalt in den Rücken atmete und grinsend an Kates schwarzem Kleid schnupperte.
    Dann stimmten die Menschen noch einmal ein gedämpftes Gemurmel an. Rebecca war unter sie getreten, ihr Kleid ein Blutstropfen auf dem schwarzen Fell der allgemein vorherrschenden Trauerkluft. Blicke hefteten sich auf sie, Auge um Auge um Auge. Othello verstand gut, was hier gerade passierte: Rebecca war eine Augenweide, und die Männer grasten.
    Der Anwalt ließ die Uhr wieder unter einer weißen Manschette verschwinden. Er räusperte

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