Glenraven
ihre.
Meine Liebe, flüsterte seine Seele in ihren Träumen. Wo warst du nur so lange? Oh, du meine Seele…
KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG
Sophie reckte sich und lief umher, um wach zu bleiben. Die Stille der Nacht wirkte eher entspannend als bedrohlich. Vor ungefähr einer halben Stunde war Matthialls tiefe, verzweifelte Stimme verstummt. Seitdem waren das einzige, was Sophie bemerkt hatte, die Geräusche von Tieren und das Rauschen des Windes gewesen. Das letzte, was sie von Matthiall gehört hatte, war ein leises Murmeln - vielleicht hatte er auch gebetet. Auf jeden Fall hatte seine Stimme erfreut geklungen. Das war wohl ein gutes Zeichen für Jayjays Entwicklung.
Werde gesund, Jay, dachte Sophie. Bitte, werde wieder gesund.
Sophie ging ihre übliche Streife entlang der äußeren Begrenzungen des Lagers. Sie war voller Hoffnung, daß Jay überleben, daß diese Nacht friedlich und ruhig verlaufen und daß sie und Jay lebend aus Glenraven herauskommen würden.
Als sie am Eingang des Zeltes vorbeikam, bemerkte Sophie, daß Jays Rucksack zu glühen begonnen hatte.
Sophie runzelte die Stirn. Dieses Glühen war vorhin noch nicht dagewesen. Sie zog ihr Schwert und trat vorsichtig näher. Es war ein warmes, einladendes Glühen wie das Licht aus den heimatlichen Fenstern in einer kalten und regnerischen Nacht. Es leuchtete gleichmäßig vor sich hin - kein Farb- oder Formwechsel, kein Geräusch, keine Bewegung. Es war einfach nur Licht, sonst nichts, und es leuchtete durch das Nylon des Rucksacks wie durch farbige Kirchenfenster - aber es rief nach Sophie!
Sophie öffnete den Rucksack mit der Spitze ihres Schwertes. Das Licht strömte wie ein Leuchtfeuer in den Himmel, und Sophie befürchtete, daß irgend jemand es entdecken würde. Aber niemand griff sie an, und nichts bewegte sich.
Sophie hielt den Atem an und stocherte mit dem Schwert in Jays Rucksack.
Nichts passierte.
Nun, dachte sie, ich kann die Sachen wohl kaum mit dem Schwert herausfischen. Das würde die ganze Nacht in Anspruch nehmen. Aber ich kann das hier auch nicht einfach vor sich hin glühen lassen, ohne zu wissen, was es ist.
Sophie blieb also nichts anderes übrig, als die Hand hineinzustecken.
Sie haßte Glenraven. Solche Dinge würden daheim einfach nicht geschehen.
Sophies Mund trocknete aus, und das Blut pochte in ihren Ohren. Sie wühlte so lange herum, bis sie den Gegenstand entdeckt hatte, von dem das Licht ausging. Als ihre Hand ihn berührte, wurde das Licht zu einem sanften, gelben Schimmern. Das Ding glühte zwar immer noch, aber lange nicht mehr so stark, als daß sie fürchtete, es könnte irgendwelche Schwierigkeiten anlocken. Sophie zog es heraus.
Es war das Buch - Fodor’s Glenraven .
Das hätte sie sich eigentlich denken können. Immerhin hatten alle Schwierigkeiten mit dem Buch begonnen. Als Sophie es aufschlug, stellte sie überrascht fest, daß die Seiten leer waren. Sie glühten… und waren leer.
Was soll denn das bedeuten? fragte sie sich.
Wörter erschienen auf der leeren Seite. Sie wurden nicht geschrieben, sondern erschienen einfach aus dem Nichts.
Die erste Bedingung wurde erfüllt.
»Was für eine Bedingung?« platzte Sophie heraus. Die Wörter verschwanden und wurden durch einen neuen Text ersetzt.
Ihr, die erwählten Helden Glenravens, habt einen weiteren Schritt getan, um euer Schicksal zu erfüllen und das Land von Unterdrückung und drohender Vernichtung zu befreien. Zwei Bedingungen müssen noch erfüllt werden. Habt Mut.
» Falsch! Ich habe keinen Mut, und ich erfülle kein verdammtes Schicksal. Glenraven ist bis jetzt ohne mich blendend zurechtgekommen, und es wird auch weiterhin ohne mich zurechtkommen. Ich schnappe mir Jayjay, und dann werden wir beide machen, daß wir von hier wegkommen.«
Die ermutigenden Worte verschwanden. Die Seite blieb einen Augenblick leer, und dann las Sophie:
Die erste Bedingung wurde erfüllt.
Sophie starrte auf die Buchstaben und sagte: »Okay - wie lauten die beiden anderen Bedingungen, von denen du glaubst, daß Jay und ich sie erfüllen müssen? Wenn die erste nicht ist, daß wir dieses Dreckloch so schnell wie möglich verlassen sollen, dann wirst du schwer enttäuscht sein.«
Die Seite leerte sich erneut. Sophie mußte diesmal wesentlich länger auf eine Antwort warten.
Ihr wißt, was ihr wissen müßt. Die erste Bedingung wurde erfüllt.
Sophie haßte Orakel, die mit Absicht unverständlich waren. »Was wird geschehen?
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