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Glenraven

Glenraven

Titel: Glenraven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Augenbraue.
    Jarenn stockte der Atem.
    »Euch rausholen?« fragte Aidris. Sie lächelte noch immer, aber irgend etwas an diesem Lächeln ließ Jarenn das Blut so schnell in den Adern gefrieren, daß sie glaubte, in einen eisigen Gebirgsfluß gestürzt zu sein.
    »Uns retten«, beharrte Jarenn in der Hoffnung, daß Aidris nur etwas schwer von Begriff war und daß Aidris gekommen war, um sie, die Kinder und alle anderen zu retten.
    »Ich bin der Grund, aus dem ihr überhaupt hier seid«, erklärte Aidris immer noch lächelnd. Mit einem Mal erschien ihr breites Lächeln hinterhältig und häßlich. Ein fleischloser Schädel hätte nicht breiter und leidenschaftsloser grinsen können.
    »Warum?«
    Aidris kicherte. In diesem Augenblick kehrte der Brigant zurück. Er trug einen großen Eimer und einen langen Stab, an dessen Ende ein Löffel gebunden war. Aidris sprach nicht mit ihm; sie deutete nur auf den Eimer und dann auf den Boden an der Tür. Er schien zu wissen, was zu tun war, stellte Eimer und Stab ab und verschwand wieder.
    Jarenn bemerkte seine Angst. Der bösartige Mann, der ihren Kutscher ohne jede Gefühlsregung umgebracht und sie, ihre Kinder und all die anderen hier gefangen hatte - er hatte Angst.
    Irgend etwas Grauenvolles würde geschehen.
    »Ewiges Leben hat seinen Preis«, sagte Aidris und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder zu Jarenn. »Glenravens Magie wird täglich schwächer. Sie wird immer anämischer, unbrauchbarer. Sie flackert wie eine Kerze, die weit nach unten gebrannt ist und nun langsam erlischt. Ewiges Leben verlangt nach Magie. Und ich will ewig leben.«
    Aidris ging den Korridor hinunter, nahm den Eimer und steckte den Stab in die trübe, rotbraune Flüssigkeit. Sie rührte einen Augenblick darin herum, nahm einen Löffel der undefinierbaren Flüssigkeit heraus, drehte sich um und schleuderte sie auf den kräftig gebauten Kin-Mann, der sich in einer Ecke seiner Zelle zusammengekauert hatte. Er sprang auf, schrie und versuchte die Spritzer von seiner Haut und Kleidung zu rubbeln. Das machte die Flecken zwar schlimmer, aber sie brannten weder ein Loch in seine Haut, noch zerfraßen sie seine Kleidung. Allerdings gelang es ihm auch nicht, sie zu entfernen. Die Masse verschmierte nur immer mehr, wenn er daran rieb.
    »Was ist das?« rief er wütend zu Aidris.
    »Blut.« Sie trat einen Schritt zurück, hob den Kopf und stieß einen hohen, durchdringenden Schrei aus.
    Irgend etwas Grauenvolles…
    Jarenn hörte das leise Flüstern von Wind. Sie hätte schwören können, daß der Kerker, in dem man sie gefangenhielt, tief unter der Erde lag; aber die Stimme des Windes war nicht zu überhören.
    Wind, wo es keinen Wind geben konnte. Er wurde lauter, kam näher, und einen Moment später spürte Jarenn ihn auf den Wangen. Mit ihm kam ein leichter, aber deutlich wahrnehmbarer Geruch von Verfall, von Fäulnis, Ruin… und Tod. Eine leichte Brise. Kalt. Stinkend. Böse.
    Aidris trat, den Eimer in der Hand, zu Jarenns Zelle. »Seit nunmehr fast tausend Jahren habe ich meine Opfer unter den Machnan gesucht, und wenn ich sie fangen konnte, auch unter den Aregen.«
    Jarenn hörte nur mit halbem Ohr zu. Fast tausend Jahre. Sie hatte Aidris’ Worte deutlich gehört, und allmählich begriff sie, daß die Gerüchte über Aidris’ unglaubliches Alter keine Gerüchte waren. Fast tausend Jahre. Ein starker, gesunder Kin brachte es auf nicht mehr als zwei Jahrhunderte. Aidris hatte viel, viel länger gelebt. Was für eine Schande, dachte Jarenn. Der größte Teil ihrer Aufmerksamkeit war auf den Mann in der Eckzelle und die Ereignisse gerichtet, die sich dort abspielten. Der Wind wurde stärker, lauter. Kleine Lichter begannen um den Kin herum zu flackern und berührten die Stellen, an denen er mit Blut bedeckt war.
    Kleine Lichter und Wind. Harmlos. Eine sanfte Brise… aber mit dem Gestank des Todes. Glänzende, wunderschöne tanzende Lichter… aber das Blut zog sie an… rief nach ihnen.
    Irgend etwas Grauenvolles. Jarenn drückte ihre Kinder an sich.
    Aidris lachte.
    Jarenn zog sich an die hintere Wand zurück und versteckte Tayes und Liendr unter ihrem weiten, bodenlangen Seidenrock.
    Irgend etwas Grauenvolles.
    »Sieh hin«, sagte Aidris. »Das ist der beste Teil.«
    Irgend etwas Grauenvolles würde passieren.
     
     
    Die Blutflecken auf der Haut des Mannes begannen plötzlich zu glühen. Blaß, in einem leichten Rosa. Obwohl Jarenn wußte, daß sie etwas Böses sah, konnte sie nicht leugnen, daß die

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