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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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musste Rechenschaft darüber ablegen, warum eine C-17 der Militäreinheit für Lufttransporte in Charleston für unbestimmte Zeit in Island stand. Und er musste die Frage beantworten, warum die Delta-Spezialeinheiten des Geheimdiensts an Bord waren. Außerdem musste er erklären, wieso ein Mann wie Ratoff das Kommando führte. Carr trauerte den Zeiten nach, als geheime Operationen noch geheim waren. In den heutigen Zeiten mussten die amerikanischen Geheimdienste – deren Arme um die ganze Welt reichten – einen Haufen politischer Mandatsträger bis ins kleinste Detail über ihre Aktivitäten informieren.
    Der Verteidigungsminister ließ Carr fünfzehn Minuten vor seinem Büro warten, bis er ihn endlich vorließ. In den sechs Jahren, die der Minister bereits im Amt war, hatten sie kein besonders freundschaftliches Verhältnis entwickelt, und Carr spürte, dass der Minister ihm mit zunehmender Abneigung begegnete. Sie gaben sich kurz die Hand. Der Minister war 44

    dahinter gekommen, dass Carr seinerzeit versucht hatte, nach belastendem Material aus seiner Vergangenheit zu graben, wie er es immer tat, wenn ein neuer Minister ins Amt kam. Das konnte später gut zupass kommen, wenn Carr etwas durchsetzen musste, aber in diesem Fall hatte er kein Glück gehabt. Der Minister hatte eine weiße Weste.
    Er war eine der strahlendsten Hoffnungen der Demokraten, jung, ein flammender Redner und Reformer, Familienvater mit zwei Haustieren, von manchen wurde er in seinen besten Momenten mit dem Erdnussfarmer Jimmy Carter verglichen.
    Der Minister war ein Gegner aller Geheimniskrämerei seitens der Behörden und hatte in seinen Reden offenen Zugang zu den vielfältigen Aktivitäten der Geheimdienste gefordert, nachdem deren Aufgabenfeld sich nach dem Ende des Kalten Krieges gewandelt und verbessert hätte. Was er mit den Worten
    »gewandelt« und »verbessert« meinte, blieb unklar, aber er war einer der eifrigsten Verfechter der Ansicht, dass die Aktivitäten der Geheimdienste eingeschränkt und ins Licht der Öffentlichkeit gerückt gehörten, wie er sich ausdrückte.
    Carr konnte die politischen Floskeln des Ministers nicht ausstehen und war tief enttäuscht, dass es ihm nicht gelungen war, einen Skandal aus der Vergangenheit des Ministers auszugraben.
    »Was ist mit dieser Maschine in Keflavík?«, legte der Minister los, noch bevor sie Platz genommen hatten. »Was für ein Spielchen treiben Sie da in Island? Eine C-17 kostet dreihundertfünfzigtausend Dollar pro Tag. Die Delta-Einheiten kosten nochmal so viel. So eine Verschwendung können wir uns nicht leisten, außer bei den allerdringlichsten Missionen. Und Ratoff ist ein geisteskranker Mörder, der meines Erachtens nicht für uns arbeiten sollte. Der Mann ist doch nicht zurechnungsfähig.«
    Carr gab ihm keine Antwort. Unter normalen Umständen hätte der Minister über die Existenz von Männern wie Ratoff nichts 45

    wissen sollen. Er kramte ein paar Satellitenbilder, die über dem Vatnajökull aufgenommen worden waren, aus seiner Tasche und zeigte sie dem Minister.
    »Was haben Sie da?«, fragte der Minister. »Was sind das für Fotos?«
    »Das sind Satellitenbilder vom südöstlichen Teil des so genannten Vatnajökull-Gletschers in Island. Das ist der größte Gletscher Europas, eine riesige Eiskuppe, die ständig in Bewegung ist. Auf der Vergrößerung ist etwas zu sehen, das wir für ein Flugzeug halten, das dort Ende des letzten Weltkriegs abgestürzt ist.«
    »Was für ein Flugzeug?«
    »Eine deutsche Frachtmaschine. Wahrscheinlich eine Junkers.«
    »Und die haben wir jetzt erst gefunden?«
    Wir, dachte Carr. Wer wir? Typisch Politiker. Reden immer nur über sich selbst. Besonders die Demokraten. Dann fuhr er fort.
    »Sie stürzte kurz vor Kriegsende ab, wie ich schon sagte. Nach ein paar Tagen wurde von unserem damaligen Stützpunkt in Reykjavik eine Expedition entsandt, um nach dem Flugzeug zu suchen. Das Ganze passierte mitten im Winter, und über dem Gletscher tobte ein heftiger Schneesturm. Das Wrack wurde vom Schnee begraben und versank im Vatnajökull. Der scheint es jetzt ein Menschenalter später wieder ausspucken zu wollen.«
    »Wieder ausspucken? Was soll das heißen?«
    »Das ist nichts Ungewöhnliches. Dieser Gletscher ist, wie ich bereits sagte, ständig in Bewegung. Er ist achttausenddreihundert Quadratkilometer groß, und unter dem Eis befinden sich tätige Vulkane. Er besteht aus vielen kleinen Schreitgletschern, je nach Temperatureinfluss variiert

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