Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
Vom Netzwerk:
Zwei der sieben Seitenfenster des Flugzeugs schauten bereits aus dem Eis heraus. Das Heck der Maschine war noch nicht zu sehen, aber es war deutlich zu erkennen, dass die Tragflächen abgerissen waren und vermutlich nie gefunden werden würden.
    Ratoff wusste, dass keine Zeit zu verlieren war. Wenn die beiden jungen Männer auf den Motorschlitten jemandem von der Aktion der bewaffneten Spezialeinheiten auf dem Gletscher und von dem Flugzeug erzählt hatten, galt es, schnell zu reagieren. Sie mussten herausfinden, wen die beiden angerufen hatten, und verhindern, dass die Informationen weitergegeben wurden. Das Leck musste gestopft werden. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.
    »Ratoff«, rief man aus dem Kommunikationszelt nach ihm, und er ging wieder hinein.
    »Haben Sie alles?«, fragte er.
    »Es ist eine Telefonnummer in Reykjavik. Sie ist eingetragen auf eine Frau mit dem Vornamen Kristín. Sie trägt denselben Vaternamen wie der Besitzer des Telefons. Könnte seine Schwester sein. Verheiratete Frauen behalten in Island den Namen ihres Vaters. Hier haben Sie die Adresse. Sie scheint allein zu wohnen. Ich habe die Botschaft in der Leitung.«
    »Geben Sie mir David.«
    Einen Augenblick später bekam er den Hörer.
    »Sie heißt Kristín«, sagte Ratoff und gab die Adresse durch.
    Dann schwieg er und hörte konzentriert zu.
    »Selbstmord«, sagte Ratoff.

    Der Mann namens David legte auf. Er und sein Kollege Simon waren mit weiteren Mitgliedern der Delta-Einheiten in der C-17
    nach Island gekommen und von Ratoff zur amerikanischen 53

    Botschaft am Laufásvegur geschickt worden, wo sie Stellung beziehen und auf weitere Befehle warten sollten. Ratoff hatte an alles gedacht.
    David rief Simon und berichtete ihm von dem Gespräch. Sie sahen sich ziemlich ähnlich, beide waren groß, dünn und blond und erinnerten mit ihren dunklen, unauffälligen Anzügen, der ordentlichen Krawatte und den Lackschuhen stark an religiöse Hausierer wie die Siebenten-Tages-Adventisten oder die Mormonen. Sie waren sorgfältig rasiert und hatten das Haar ordentlich auf die Seite gekämmt. Über ihren penibel gebügelten Anzügen trugen sie nur dünne blaue Blousons.
    Ihnen wurde einer der Botschaftswagen, der kein diplomatisches Nummernschild trug, zur Verfügung gestellt, ein weißer Jeep des Typs Ford Explorer. Auf einem Stadtplan suchten sie die Adresse der Frau heraus und markierten mit einem roten Stift den kürzesten Weg von der Botschaft dorthin.
    Jede Minute war kostbar. Dann liefen sie hinaus in das Schneetreiben.
    Trotz der schwierigen Straßenverhältnisse brauchten sie nur fünf Minuten.
    Als sie vor dem Haus im Tómasarhagi vorfuhren, versuchte Kristín gerade verzweifelt, die Bergnotrettungsgesellschaft in Reykjavik zu erreichen. Immer noch im Anorak stand sie am Telefon und rief alle Nummern der Bergnotrettung an, die im Telefonbuch standen, aber vergeblich. Niemand ging ans Telefon. Ihr Telefon speicherte die Nummern aller eingehenden Anrufe, sodass sie noch einmal versuchte, ihren Bruder zurückzurufen, aber er meldete sich nicht. Stattdessen ertönte die automatische Ansage, das Telefon sei entweder abgeschaltet, befinde sich außerhalb des Empfangsbereichs, oder alle Leitungen seien belegt. Sie war überzeugt, dass ihrem Bruder irgendetwas zugestoßen war, und würde keine Ruhe finden, bevor sie nicht Verbindung mit der Gruppe auf dem Gletscher bekommen hatte. Sie wollte gerade die Polizei anrufen, als es an 54

    ihrer Tür klopfte. Sie legte den Telefonhörer hin, ging zur Tür und spähte durch ihren Türspion.
    »Mormonen«, stöhnte sie. »Ausgerechnet jetzt!« Aber sie wollte nicht unhöflich sein. Sie hatte die Tür noch nicht richtig geöffnet, als sich die beiden Männer schon in ihre Wohnung drängten. Einer hielt ihr mit der linken Hand den Mund zu und stieß sie vor sich her ins Wohnzimmer. Der zweite folgte ihm, schloss die Tür und ging mit raschen Schritten durch die ganze Wohnung, wobei er einen Blick in alle Räume warf, um sich zu vergewissern, dass sie allein war. Unterdessen zog der erste, der Kristín den Mund zuhielt, eine kleine Pistole und legte den Finger auf die Lippen, um ihr zu bedeuten, dass sie still sein sollte. Beide trugen weiße Gummihandschuhe.
    Kristín brachte keinen Laut hervor. Fassungslos starrte sie die beiden Männer an.
    Weiße Gummihandschuhe?
    Simon fand ihren Pass in einer Schublade des Esszimmerschranks, ging zu Kristín und verglich ihre Gesichtszüge mit dem

Weitere Kostenlose Bücher