Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
Vom Netzwerk:
zweihundert, die durch das Gebiet schwärmten. Sie hatten keine Ahnung, was los war, aber sie hatten zu viel gesehen. Ratoff musste beim Verhör vorsichtig vorgehen. Es durften keine Spuren von Gewaltanwendung zurückbleiben. Es durfte auch 60

    nicht zu viel Zeit vergehen. Die Rettungsgruppe durfte nicht anfangen, die Gegend nach ihnen zu durchkämmen. Ratoff, der unter Zeitdruck stand, lief unter solchen Umständen zur Hochform auf.
    Elías und Jóhann hatten zu viel Angst um vorzugeben, dass sie kein Englisch verstünden. Wie die meisten Isländer beherrschten sie die Sprache sogar ziemlich gut. Und sie waren zu arglos, um auf die Idee zu kommen, dass sie irgendetwas verbergen müssten.
    »Kristín«, sagte Ratoff und trat ganz dicht an Elías heran. »Ist das deine Schwester?«
    »Woher weißt du das?«, fragte Elías verblüfft und blickte abwechselnd zu ihm und zu den bewaffneten Posten im Zelt. Es waren kaum fünf Minuten vergangen, seit man ihm das Telefon abgenommen hatte.
    »Hast du noch mit jemand anderem Verbindung gehabt?«, fragte Ratoff, ohne auf seine Frage einzugehen.
    »Nein, mit niemandem«, erwiderte Elías.
    »Hast du nicht mit deiner Rettungsmannschaft gesprochen?«
    »Rettungsmannschaft? Wieso denn? Woher weißt du von meiner Schwester? Woher weißt du, dass sie Kristín heißt?«
    »Du sollst nicht …«
    »Wovon sprichst du? Was ist hier eigentlich los?«
    »So viele Fragen«, stöhnte Ratoff. Er tat, als müsse er nachdenken. Er trat einen Schritt zurück und sah sich um. Sein Blick fiel auf den Werkzeugkoffer, der im Zelt auf einem Tisch stand. Er ging zum Koffer, öffnete ihn und kramte achtlos mit einer Hand darin herum. Er holte einen Schraubenzieher heraus, betrachtete ihn nachdenklich und legte ihn dann wieder in den Koffer. Er griff nach einem Hammer, wog ihn in der Hand und legte ihn dann zurück. Elías konnte eine Kneifzange erkennen.
    Die beiden Jungs blickten Ratoff verständnislos an. Sie hatten 61

    keine Ahnung, in was sie hineingeraten waren. Ratoff schloss den Werkzeugkoffer wieder und wandte sich ihnen zu.
    »Wenn ich nun verspreche, deinen Freund nicht zu stechen, würde das deine Neugier zügeln?«, fragte er Elías, als müsse er diese Möglichkeit selber erst überdenken.
    »Stechen?«, fragte Elías neugierig und sah seinen Freund an.
    »Was passiert hier? Wer seid ihr? Was für ein Flugzeug ist da im Eis? Warum trägt es ein Hakenkreuz? Seid ihr Nazis?«
    Die Bewegung war für Elías kaum zu erkennen. Er bekam nur mit, wie Jóhann laut aufschrie, die Hand aufs rechte Auge presste und aufs Eis fiel. Er lag zu Füßen seines Freundes und schrie vor Schmerz.
    »Wenn ich verspreche, deinen Freund nicht noch einmal zu stechen, würdest du dann aufhören, uns in die Quere zu kommen?«, wandte sich Ratoff wieder an Elías.
    Dieses Mal musste er fast brüllen, um Jóhanns Schreie zu übertönen. Er hielt einen kleinen Stechbeitel aus Stahl in der Hand.
    »Was hast du getan?«, stöhnte Elías. »Hast du ihm ins Auge gestochen?« Er wollte sich zu Jóhann hinunterbeugen, aber Ratoff riss ihn an den Haaren wieder hoch und näherte sich bis auf wenige Zentimeter seinem Gesicht.
    »Welche Koordinaten habt ihr eurer Rettungsmannschaft gegeben, als ihr losgefahren seid?«
    »Gar keine. Wir haben nur gesagt, dass wir die Motorschlitten ausprobieren wollten und vermutlich vier bis fünf Stunden unterwegs sein würden.«
    »Wissen sie, wohin ihr wolltet?«
    »Wir hatten kein bestimmtes Ziel angegeben. Wir wollten eben die Motorschlitten ausprobieren. Sie sind neu. Wir hatten nicht vor, uns weit von der Mannschaft zu entfernen.«
    »Wie lange seid ihr schon unterwegs?«
    62

    »Ungefähr die Hälfte der Zeit. Vielleicht drei Stunden.«
    »Wann wird man anfangen, nach euch zu suchen?«
    »Bald, wenn wir nicht zur angegebenen Zeit zurückkommen.
    Sie haben bestimmt schon angefangen zu suchen. Woher weißt du von Kristín?« Elías war langsam klar geworden, dass er sich in Lebensgefahr befand, machte sich aber mehr Sorgen darum, dass dieser Mann den Namen seiner Schwester kannte.
    »Was hast du deiner Schwester am Telefon erzählt?«
    »Nur, dass ich gerade die neuen Motorschlitten teste. Sonst nichts.«
    »Zwölf Minuten nach deinem Telefonat mit ihr hatte ich das Telefon bereits in den Händen. Das bedeutet, dass du schon ganz nah an uns herangekommen warst, als du sie angerufen hast. Was weiß sie?«
    »Nichts. Ich habe ihr gar nichts erzählt. Als ich die Soldaten kommen sah, habe

Weitere Kostenlose Bücher