Gletschergrab
würde Selbstmord begehen, aber da hat Randolf an die Tür geklopft, und sie haben ihn erschossen, und ich bin entkommen. Sie haben gesagt, Elías sei tot.«
Steve begriff überhaupt nichts, ließ sie aber einfach reden. Er sah, wie aufgewühlt sie war. Kristín war offenbar etwas Schreckliches zugestoßen, aber mit dieser konfusen Erzählung von Elías und dem Gletscher und den Mormonen konnte er rein gar nichts anfangen. Er hatte nicht damit gerechnet, Kristín jemals wiederzusehen, und verstand nicht, was es mit ihrem Besuch auf sich hatte. Hatte Kristín den Verstand verloren?
»Elías hat Soldaten auf dem Gletscher gesehen«, fuhr Kristín fort. »Es müssen amerikanische Soldaten sein. Das war das Letzte, was er gesehen hat, bevor die Verbindung abriss. Weißt du, was amerikanische Soldaten oben auf dem Gletscher wollen?«
»Gletscher?«
»Auf dem Vatnajökull. Du glaubst, ich erzähle irgendeinen Stuss, das sehe ich dir an. Ich habe ja selber das Gefühl, dass ich völlig durchgedreht bin, dass ich nur träume, dass das alles nur ein Albtraum ist und ich irgendwann wieder aufwache und durchatmen kann. Aber ich werde nicht aufwachen. Und ich 91
werde nie wieder durchatmen können. Das ist alles die reine Wahrheit.«
Sie sahen sich an.
»Und dann sind da noch die Russen«, sagte sie zögernd.
»Die Russen?«
»Der Mann, der bei mir zu Hause ermordet worden ist, hat Geschäfte mit Russland gemacht. Sie haben ihm eine Kugel durch den Kopf gejagt. Diese Amis. Vorher hatte er mir im Ministerium etwas von einer Verschwörung erzählt. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Wem ich glauben soll. Ich weiß nicht mehr ein noch aus, aber ich muss rauskriegen, was mit Elías passiert ist. Ich habe versucht, die Bergnotrettungsgesellschaft anzurufen, aber da ging niemand ans Telefon, und dann waren schon die Mormonen da.«
»Mormonen?«
»Diese Mörder. Sie haben versucht, mich umzubringen. Zwei waren das, sie sahen aus wie Mormonen, du weißt schon, in dunklen Anzügen, Schlips und Kragen und mit Seitenscheitel, wie diese Mormonen, die mit ihren Broschüren von Tür zu Tür gehen. Deshalb habe ich aufgemacht. Ich habe gedacht, es wären Mormonen. Wie kann man nur so blöd sein!«
»Alles okay, alles okay«, sagte Steve, der wusste, dass gar nichts von all dem okay war. Soldaten auf dem Gletscher, Russen, Mormonen. »Was hast du im Ministerium gemacht, was zu solchen Verwicklungen führen könnte?«
»Gar nichts. Nur meine normale Arbeit. Ich habe nichts gemacht. Das ist nicht meine Schuld. Das ist nicht meine Schuld! Ich habe nichts gemacht, was das alles hätte auslösen können. Nichts. Und Elías auch nicht. Das ist nicht meine Schuld.«
»Nein, natürlich nicht. Aber so, wie du davon erzählst, scheinen die beiden Dinge überhaupt nichts miteinander zu tun 92
zu haben. Die amerikanischen Soldaten auf dem Gletscher und die Verschwörung im Russlandgeschäft.«
»Ich weiß. Ich blicke da überhaupt nicht durch.«
Kristín hatte sich etwas beruhigt. Steve war es gelungen, ihr den schlimmsten Druck zu nehmen, indem er alles mit ihr durchsprach, ihr einfach zuhörte, ohne ihre verrückte Geschichte in Zweifel zu ziehen. Er begriff, dass sie etwas Schreckliches durchgemacht hatte und weder ein noch aus wusste. Das einzig Richtige war, nicht zu widersprechen. Langsam ließ das Schluchzen nach, und Kristín konnte wieder ruhiger und überlegter sprechen.
»Kannst du für mich diese Sache mit den Soldaten auf dem Gletscher überprüfen?«, fragte sie.
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, erwiderte Steve.
»Was hat dein Bruder genau gesagt?«
»Dass ein Flugzeug im Eis sei und Soldaten auf dem Gletscher.«
»Hat er das so gesagt, im Eis? Findest du das nicht seltsam?«
»Was?«
»Als stecke es mitten im Eis, hat er das so gesagt?«
»Im Eis, auf dem Eis. Wo zum Teufel ist da der Unterschied?
Er hat etwas von einem Flugzeug und Soldaten gesagt.«
»Ist es möglich, dass ein Flugzeug im Eis ist?«
»Ich kann mich nicht erinnern, ob er im Eis gesagt hat oder auf dem Eis, Steve! Das tut überhaupt nichts zur Sache. Ich muss wissen, was dort auf dem Gletscher vorgeht.«
Steve nickte. Er lebte seit drei Jahren in Island. Er arbeitete mit dem Pressereferenten auf der Basis zusammen und war der Ansprechpartner für die isländischen Ministerien, die mit dem Militärstützpunkt in Verbindung standen, in erster Linie das Außenministerium. So hatten sie sich kennen gelernt, durch die Arbeit. Er wohnte
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