Gletschergrab
wollten?«
»Nein.«
»Glaubst du, dass Elías in Gefahr ist?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, solange er nicht im Dunkeln weiterfährt. Ein paar Stunden westlich von uns befindet sich ein ziemlich großes Gebiet mit Gletscherspalten, aber Elías ist sehr umsichtig, genauso wie Jóhann. Sie haben sicher irgendwo angehalten, und ihr Telefon ist ausgefallen. Wenn sie bleiben, wo sie sind, finden wir sie, sobald es hell wird. Wieso rufst du wegen Elías an? Hattest du eine Eingebung?«
»Ich habe eine Nachricht erhalten, Elías sei tot«, sagte Kristín,
»und das hängt mit den Soldaten zusammen, die er auf dem Gletscher gesehen hat.«
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»Elías ist nicht tot. Er ist vermisst. Er lebt. Wer hat dir gesagt, er sei tot? Wer macht so was?«
»Kristín!«, rief Steve. Er stand am Wohnzimmerfenster und wies nach draußen.
»Kann ich dich später noch einmal direkt anrufen?«, fragte Kristín, ohne auf Júlíus’ Frage einzugehen.
»Wer hat dir mitgeteilt, Elías sei tot?«
»Das ist zu kompliziert, um es am Telefon zu erzählen. Ich rufe dich später noch einmal an.«
Sie bekam seine Nummer. Das Telefonat hatte ihre Ängste nur noch mehr angefacht. Steve winkte sie zu sich ans Fenster. Er starrte nach unten auf den Parkplatz neben seinem Haus.
»Diese Mormonen, waren sie beide blond?«, fragte er ruhig.
»Wieso fragst du?«
»Sie tragen allerdings keine Anzüge, sondern Winteroveralls und Winterstiefel.«
»Was willst du damit sagen?«
»Sie stehen hier unten und starren auf mein Fenster.«
»Was willst du damit sagen?«, rief Kristín. »Hier? Sind sie hier? Wieso?«
Sie rannte zum Fenster, warf einen Blick auf den Parkplatz und schnappte heftig nach Luft, als sie die beiden wiedererkannte.
»Oh Gott, das sind sie. Das sind diese Killer.«
»Sie haben dich gesehen. Komm!«
»Wie haben sie mich hier gefunden?«
Kristín war immer noch vollständig angezogen. Steve schlüpfte schnell in seine Winterstiefel und seine dicke Winterjacke. Blitzschnell waren sie im Treppenhaus.
»Wie bist du hergekommen?«
»Mit einem Taxi.«
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»Wusste jemand, dass du hierhin wolltest?«
»Niemand.«
»Hast du bar bezahlt?«
»Mit Karte.«
»Mist.«
Sie blickten durchs Treppenhaus nach unten und sahen David und Simon ins Haus kommen und zur Treppe laufen.
»Alle Gespräche von der Basis werden aufgezeichnet. Sie wissen, dass wir die Rettungsgesellschaft angerufen haben. Und du darfst deine Karten nicht mehr benutzen.«
»Hast du eine Pistole?«, rief Kristín.
»Eine Pistole? Wozu?«
»Das ist ja wieder mal typisch für mich, bei dem einzigen verdammten Ami zu landen, der keine Pistole hat«, schnaubte sie auf Isländisch.
»Komm«, sagte er, rannte wieder in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Sie liefen auf den kleinen Balkon. Bis zum Boden waren es rund sechs Meter. Zu hoch. Auf den Balkon unter ihnen konnten sie auch nicht klettern, möglicherweise aber auf den seitlich angrenzenden Balkon springen. Sie hörten, dass die Mormonen bereits an der Tür waren. Steve half Kristín auf die Balkonbrüstung, von wo aus sie auf den Nachbarbalkon sprang. Sie schwankte einen Moment auf der Brüstung, konnte sich aber fangen und landete sicher auf dem Boden. Steve sprang direkt hinterher, während im gleichen Augenblick die Tür zu seiner Wohnung eingetreten wurde.
Noch in seiner Wohnung hatte Steve eine Gipsbüste des Baseballspielers Babe Ruth gepackt, damit schlug er jetzt die Balkontür ein und öffnete sie von innen. Sie stürzten durch die Wohnung und rannten durchs Treppenhaus zum Ausgang.
David und Simon liefen durch die Wohnung auf Steves Balkon. Dabei hörten sie das Glas splittern, als Steve mit Babe 98
Ruth die Scheibe einschlug. Sie machten auf dem Absatz kehrt, stürmten zurück durch die Wohnung und sahen Steve und Kristín die Treppe hinunterlaufen. Als sie über den Flur liefen, trat ein Mann in Unterwäsche aus seiner Wohnung und versperrte David und Simon den Weg. Sie rannten ihn über den Haufen, wobei David ebenfalls zu Fall kam. Simon versuchte, über beide hinwegzuspringen, und trat dem Mann dabei so schmerzhaft ins Gesicht, dass er laut aufschrie und Simon ins Straucheln geriet.
Steve und Kristín nutzten ihren Vorsprung und liefen bereits aus dem Haus, während die Mormonen sich noch aufrappelten.
Sie bemerkten, dass der Jeep der beiden mit laufendem Motor vor dem Haus parkte, und rannten darauf zu. Steve warf sich hinters Steuer, Kristín auf den Beifahrersitz. Als
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