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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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die Mormonen aus dem Haus kamen, brausten sie davon. Kristín sah sich nach den beiden um, die noch einen Moment hinter dem Wagen herliefen und dann aufgaben. Sie blieben wie angewurzelt stehen und sahen ihrem Jeep nach, bis er verschwunden war.
    »Entschuldigung«, sagte Steve.
    »Was? Wieso?«, fragte Kristín.
    »Als du zu mir kamst, habe ich erst gedacht, du seist verrückt.
    Durchgedreht. Nicht mehr ganz dicht.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Das denke ich jetzt nicht mehr.«
    »Es gibt nur eine Erklärung dafür, wieso sie von dir wissen«, meinte Kristín.
    »Und zwar?«
    »Sie haben mit Elías gesprochen. Zwischen ihnen und den Vorgängen auf dem Gletscher gibt es eine Verbindung. Sie gehen wahrscheinlich davon aus, dass er mir irgendetwas erzählt hat. Über sie und dieses Flugzeug. Was kann das für ein Flugzeug auf dem Gletscher sein? Die Mormonen haben 99

    Kontakt zu den Soldaten auf dem Gletscher. Sie müssen meine Nummer in Elías’ Handy entdeckt haben. Deshalb wussten sie von mir. Sie wissen, dass ich seine Schwester bin. Sie glauben, dass ich etwas weiß. Dass Elías mir etwas erzählt hat. Deswegen versuchen sie, mich umzubringen.«
    »Was sind das eigentlich für Männer?«
    »Das hatte ich schon fast wieder vergessen. Die haben einen Namen fallen lassen, als sie mich in der Wohnung überfallen haben. Einer von ihnen hat einen Ratoff erwähnt. Sagt dir der Name etwas?«
    »Ratoff? Ratoff! Nie gehört.«
    »Armer Elías. Was ist ihm zugestoßen? Sie haben gesagt, er sei tot. Ob sie ihn wirklich umbringen würden? Warum sollten sie ihn umbringen?«
    »Ich werde ein paar Leute anrufen und herausbekommen, was hier vorgeht. Wir gehen der Sache auf den Grund. Wissen sie, wer du bist?«
    »Sie wussten, wo ich wohne. Sie wussten von Elías.«
    Kristín sah ihn an, warf dann einen Blick durch die Heckscheibe und dachte an Elías. Dann wanderten ihre Gedanken zu ihrem Vater. Er unternahm wahrscheinlich eine Auslandsreise. Er war ständig im Ausland, und bei kürzeren Reisen informierte er seine Kinder nicht unbedingt über seine Pläne. Sie hatten keine enge Verbindung. Manchmal schmerzte es Kristín, dass sie sich nie an ihren Vater wenden konnte.
    Immer musste sie mit allem allein klarkommen. Aber das Schlimmste war, dass er vermutlich ihr die Schuld daran geben würde, was mit ihrem Bruder passiert war. Das hatte er immer getan. Ihr die Schuld gegeben.
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    13
    Miller kam selbst an die Tür und ließ Carr ins Haus. Es lag idyllisch im Wald etwas außerhalb der Stadt, ein zweistöckiges Holzhaus mit gepflegtem Garten. Eine dünne Schneeschicht bedeckte die Erde. Miller war weit über achtzig und hatte eine bedächtige Art. Er war fast völlig kahl, und sein Antlitz war von braunen Flecken übersät. Er ging gebeugt und schlurfte in seinen zerschlissenen Filzpantoffeln vorwärts. Im Haus war alles sehr ordentlich. Seine Frau war bereits vor zwanzig Jahren gestorben. Die Ehe war kinderlos geblieben. Dreimal die Woche kam eine Haushaltshilfe zu Miller, mittags und abends ließ er sich warmes Essen auf Rädern bringen. Nach außen erschien Miller wie ein nutzloser Greis, der nach getanem Lebenswerk auf seinen Tod wartete. Aber hinter dem Alter und der Gebrechlichkeit verbarg sich der gleiche wache und scharfe Geist wie früher.
    Sie schüttelten sich an der Tür die Hände, und Mil1er führte Carr in sein Arbeitszimmer im ersten Stock. Es quoll über von den Erinnerungsstücken eines langen Lebens. Den meisten Platz nahmen Fotos aus dem Militärdienst ein, Bilder von seinen Kameraden im Zweiten Weltkrieg, aus Korea und Vietnam. Es gab auch Bilder aus Friedenszeiten. An allen Wänden standen Regale voller Bücher, von denen die meisten vom Krieg handelten.
    »Es ist ganz bestimmt das Flugzeug?«, fragte Miller und holte zwei kleine Schnapsgläschen heraus, die er mit Cognac füllte.
    Carr fand es dafür reichlich früh, ließ es aber dabei bewenden.
    Die Tageszeit spielte für Miller schon lange keine Rolle mehr.
    »Da kann kein Zweifel bestehen«, antwortete Carr und nippte am Cognac.
    »Wart ihr schon drin?«
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    »Noch nicht. Ratoff leitet die Operation.«
    »War das notwendig?«, fragte Miller und zog eine Grimasse.
    »Es schien mir das Beste. So wie die Dinge liegen, verlangt die Operation ganz einfach nach einem Mann wie Ratoff.«
    »Wollt ihr es immer noch über den Atlantik bringen? Nach Argentinien?«
    »Ja, nach Argentinien.«
    »An dem alten Plan hat sich nichts geändert?«
    »Nein. Bis jetzt läuft

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