Gletscherkalt - Alpen-Krimi
einem Nebenzimmer der Berghütte, das die Wirtsleute
bereitwillig freigeräumt hatten, saß der kleine Krisenstab zusammen: Hosp, ein
Bergrettungsobmann und zwei weitere Bergretter sowie Marielle und Pablo, die
aber gerade erst angekommen waren und sich mit vom schnellen Aufstieg hochroten
Gesichtern zu ihnen gesellten. Ihre Sweatshirts waren schweißgetränkt, und ihre
Ausdünstung war alles andere als angenehm. Hosp rümpfte kurz die Nase, sagte
aber nichts.
Auf dem Tisch stand ein Laptop, der zwar angeschaltet war, aber
bislang nicht benutzt wurde. Daneben lagen Karten ausgebreitet. Auf ihnen war
jedes Detail der Landschaft zu erkennen: die Gletscherflächen, die Steilzonen,
die Einschnitte, Schluchten und Täler. Es fehlte keine Hütte, kein Weg, kein
Wasser. Alles war genau beschriftet, und Hosp wusste, dass die Bergsteiger,
zumindest die guten, so eine Karte lesen konnten wie er eine Zeitung. Er selbst
machte sich nicht viel aus den Bergen. Er hatte nichts gegen sie, mochte sie
bisweilen sogar, zum Beispiel, wenn er nach nicht allzu langem Anstieg vor
einer Hütte sitzen und Ausblick, Jause und ein kühles Bier genießen konnte. Für
die jedoch, die in jeder freien Minute kletternd ihr Leben riskierten, brachte
er wenig Verständnis auf.
Er sah, wie Marielle sich über den Tisch beugte, und was er sah,
gefiel ihm, auch wenn sie verschwitzt war und stank.
Jung müsste man sein, dachte er. Einmal noch jung.
Andererseits, dachte er, hätte mich dieses Mädchen nie angeschaut, als
ich jung war. Ich war einer von denen, die immer blöd ausschauen, vor der
Pubertät, während der Pubertät sowieso und danach immer noch. Wahrscheinlich,
dachte er, während die Bergler um ihn herum die Karte studierten, mögliche
Ziele von Tinhofer erörterten, das weitere Vorgehen besprachen, wahrscheinlich
bin ich deshalb zur Polizei gegangen …
Er war richtiggehend froh, dass ihn sein Handy aus diesen Gedanken
riss. Es kam die lange erwartete Nachricht: Tinhofers Handy war geortet. Hosp
notierte sich die Daten, schob den Zettel dem Bergrettungsobmann über den
Tisch.
»Warum, zum Teufel, hat das so verdammt lang gedauert?«, maulte er
ins Telefon. Er hörte sich an, was ihm der Mann in Innsbruck zu sagen hatte,
dankte kurz und beendete das Gespräch. Er sah den fragenden Blick der
Bergretter. Und er gab ihnen die Erklärung.
»Das alte Problem: Wenn die Handys in abgelegenen Gegenden keinen
Empfang haben, sind sie, so hab ich mir sagen lassen, auch viel schwerer zu
lokalisieren. Aber jetzt haben wir ja was. Wo ist das?«
Einer der Bergretter hatte sich bereits an den Laptop gesetzt, gab
die Daten ein, die wenig später auf einer dreidimensionalen Karte ihre
Zuordnung fanden.
»Wo ist das?«, wiederholte Hosp ungeduldig. »Ich kenn mich mit so
was nicht aus.«
Sie zeigten es ihm auf der herkömmlichen Karte: Ein Gletscher, gar
nicht allzu weit entfernt von der Hütte, allerdings ein gutes Stück weiter
oben. Ein Gipfel von fast dreitausend Metern Höhe.
»Da«, sagte der Bergretter, ein junger Mann, der mit dem Computer
anscheinend genauso vertraut war wie mit dem Gebirge. »Genau da ist es. Ein
Stück oberhalb des Gletschers, fünfzig bis hundert Höhenmeter etwa. Wir geben
den Helis Bescheid. Die können zwar jetzt nicht viel sehen und werden kaum
Chancen haben, ein Telefon in dieser riesigen Bergflanke zu entdecken. Aber ich
weiß, dass sie mit Wärmebildkameras ausgestattet sind. Falls auch ein Mensch in
der Nähe ist, der Mann, den wir suchen, dann finden sie ihn.«
Eine Dreiviertelstunde später kamen die Helikopterpiloten zur
Hütte.
»Nichts. Null und nichts.« Ihre Suche war absolut ergebnislos
verlaufen. Kein Handy, kein Tinhofer, gar nichts.
»Und die … Wärmebildkamera … kann man da nicht …?«, fragte Hosp
etwas zögerlich.
»Paahh«, machte einer der Piloten. »Zuerst sind wir das ganze Gebiet
zwischen der Lapenscharte und der Hütte abgeflogen, dann kam die Meldung, wo
wir konkreter suchen sollen, und das haben wir von Anfang an mit Wärmebild
gemacht. Wir sind nicht ganz blöd, Herr Kommissar.«
»Was würden Sie mir raten?«, fragte Hosp.
»Vielleicht wäre es gut, zwei oder drei von den Bergrettungsleuten
da hochzufliegen. Ich meine, in die Gegend, wo wir das Handy suchen müssen.
Falls der Mann in der Nacht auftaucht … Ich weiß, das klingt unwahrscheinlich,
aber ich würde es trotzdem machen, wenn ich an Ihrer Stelle wäre. Noch lieber
allerdings wäre mir, wenn die Leute zu Fuß hochgehen
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