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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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…«
    »Was?« Der Frage hörte man Angst und Entsetzen an.
    »Es ist nicht so schlimm. Haben Sie keine Angst, bitte schön. Ist im
Krankenhaus, ist stabil. Vielleicht ich kann reinkommen, Ihnen die Situation –«
    Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, war der Türsummer betätigt
worden.
    Dritter Stock, dachte er. Und er hatte sich gefragt, wie viele
Sekunden es dauern würde, bis sie merkte, dass er kein Bergsteiger war, keiner,
der mit ihrem Mann eine Tour unternommen hatte.
    Er ging langsam und gleichmäßig die Stufen vom Parterre bis zum
zweiten Stockwerk hinauf. Das Licht war offensichtlich von der Frau für ihn
angeschaltet worden. Ab dem zweiten Stock ging er schneller. Er sah sie auf dem
Treppenabsatz stehen und zurückweichen, als er die letzten Stufen im
Laufschritt nahm. In ihren Augen sah er ihre Erkenntnis, einen Fehler gemacht
zu haben. Doch die kam zu spät, und ihr Zurückweichen ging zu langsam. Im
nächsten Moment hatte er ihr eine Hand an den Hals gelegt und die andere über
den Mund und sie mit der ganzen Kraft seines Körpers durch die offene Tür in
ihre Wohnung geschoben.
    Niemand, wirklich niemand konnte auch nur das Geringste davon
mitbekommen haben.
    Die Tür schob er mit dem Fuß zu. Dann schlug er der Frau mit dem
Handrücken zweimal ins Gesicht, und zwar mit solcher Heftigkeit, dass sie
aufstöhnend und aus einer Platzwunde an der Schläfe blutend zu Boden sank.
    Das verschaffte ihm die Zeit, die er brauchte, um die Wohnung
kennenzulernen. Das gut, gediegen, jedoch nicht übertrieben teuer eingerichtete
Wohnzimmer; das Arbeitszimmer des Fotografen mit einer ganzen Schrankwand
voller Schubfächer – bestimmt waren Fotos und Dias darin –, mit Leuchttisch und
zwei großen Computermonitoren; das Zimmer, das wie ein ehemaliges Kinder-oder
Jugendzimmer aussah und das umfunktioniert worden war zu einem Gästezimmer oder
was auch immer: Eine Couch stand da, ein halb offener, schmaler Kleiderschrank,
aber auch ein aufgebautes Bügelbrett samt Bügeleisen, und auf der Couch lagen
zwei Stapel sorgfältig zusammengelegter Wäsche; schließlich das Schlafzimmer
mit Doppelbett und Nachtkästchen, einem silbern gerahmten Großfoto – gewiss von
diesem Tinhofer –, das einen weißen Ballon bei der Fahrt über eine verschneite
Berglandschaft zeigte, sowie einem etwas altmodischen Frisiertisch, der aber
bestimmt nicht genutzt wurde, zumindest nicht zum Zweck des Frisierens oder
Schminkens, er war nämlich vollgestellt mit gerahmten Bildern, die wohl ein und
dieselbe Frau als Kind, als Jugendliche und in reiferem Alter zeigten.
    Kurth hörte die Frau im Flur stöhnen. Er kehrte zu ihr zurück, nahm
das nächstbeste Tuch und knebelte sie auf die gleiche Art wie die Frau, deren
Wagen er an sich genommen hatte. Dann erst setzte er den kleinen Rucksack ab
und holte die Kabelbinder heraus.
    *
    Marielle, Pablo und die beiden Bergretter hatten sich schon beim
allerersten Licht, das eigentlich noch nicht mehr war als ein vages Versprechen
des neuen Tages, aus ihren Decken geschält. Sie hatten ein paar Bissen
gegessen, Wasser aus ihren Trinkflaschen getrunken und fröstelnd ihre Sachen
zusammengepackt.
    »Was suchen wir?«, fragte Pablo. »Den Mann oder sein Telefon?«
    »Den Mann!«, forderte Marielle. »Ich hab so ein verdammt schlechtes
Gefühl.«
    Die Bergretter hatten ohnehin nichts anderes vorgehabt. »Er wollte
Gletscher fotografieren. Gut, dann suchen wir da unten am Gletscher. Es wird
nicht mehr lange dauern, dann kommen die Kollegen rauf und wahrscheinlich auch
wieder die Helis. Wir finden was, da könnts sicher sein.«
    Müde und zugleich nervös stieg Marielle hinter den
Bergrettungsleuten her. Pablo machte den Schluss der Reihe. Sie hatten alle
ihre Stirnlampen an; noch war es längst nicht hell genug, und das Gelände war,
wenn auch nicht ernsthaft gefährlich, doch eines, wo man beim Absteigen
verdammt aufpassen musste, sich nicht die Füße zu verstauchen oder gar einen
Knöchel zu brechen.
    Unter ihnen lag der Gletscher. Grau wie ein Leichentuch lag er da,
eingebettet von Bergflanken, die in diesem fast noch nicht vorhandenen Licht
bedrohlich schwarz und düster wirkten.
    Marielle hatte das Gebirge geliebt. Bisweilen hatte sie geglaubt,
süchtig nach der Landschaft und nach dem Bergsteigen zu sein. Das aber waren
die Momente, da sie alles in Frage stellte.
    Hässlich, dachte sie. Es ist nichts als hässlich. Man muss ein
Spinner sein, ein psychisch verquerer Mensch, um das da zu

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