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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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Kannst du mich hören? Wenn du da
bist, gib uns ein Zeichen.«
    Hätte die Antwort aus Stille bestanden, wäre es nicht so schlimm
gewesen wie dieses Echo, diese geisterhaft verzerrte Stimme, die auf jeden
ihrer Rufe folgte. Marielles Herz schlug heftig, und sie hatte eine Gänsehaut,
jedoch keine Zeit, sich mit ihren Ängsten und Sorgen auseinanderzusetzen.
    Doch es kam für sie noch schlimmer. Als der »tote Mann« gegraben
war, sagte Michael: »Du musst da runter.«
    »Ich? Warum ich?« Sie war entsetzt und entrüstet.
    Er sah sie verlegen an, allerdings nur ganz kurz, weil er sich
überhaupt schwer damit zu tun schien, einer Frau in die Augen zu schauen. Dann
sagte er: »Ganz einfach, du bist die Leichteste von uns allen. Wir beiden Kerle
können dich leichter hinunterlassen und vor allem leichter wieder raufziehen.
Ist auf alle Fälle besser, als wenn einer von uns da runterginge.«
    Marielle schüttelte den Kopf. Sie wollte das nicht tun. Wollte auf
keinen Fall in die Spalte. Wahrscheinlich lag ein Toter darin.
    Nicht schon wieder ein Toter, dachte sie. Ich hab so was von genug davon.
    Sie schüttelte immer noch den Kopf.
    Ich will nicht, dachte sie. Ich mach’s nicht.
    Und wenn der nicht tot ist? Wenn der Mensch noch lebt? Wenn der
dringend Hilfe braucht?
    Sie hatte keine andere Wahl.
    Sie nickte. Sie musste es tun.
    Marielle war unglaublich wütend auf Pablo und den Bergretter, auf
diese blöden Typen, die ihr das antaten. Sie konnte, während sie sich für
diesen Einsatz fertig machte, keinem von ihnen ins Gesicht sehen.
    Ich bin ungerecht, dachte sie. Aber sie sind trotzdem Arschlöcher.
    *
    »So geht das die ganze Nacht schon«, sagte ein Vollzugsbeamter
zu seinem Kollegen, während er ihn gerade durch das Guckloch in die Zelle
schauen ließ, wo Manczic vorerst untergebracht war.
    »Der geht auf und ab, eine halbe Stunde, eine Stunde. Auf und ab.
Immer nur auf und ab. Und du weißt ja: Die Zellen sind nicht groß. Viereinhalb
Meter lang, und die Breite kannst du eh vergessen. Da geht der auf und ab.
Redet dabei ständig vor sich hin. Auch das stundenlang. Was sagst jetzt dazu?«
    »Ein Gspinnerter«, gab der Kollege zur Antwort, ohne das Auge auch
nur einen Moment vom Guckloch zu nehmen.
    »Aber jetzt, jetzt geht er nimmer. Kniet neben seiner Pritsche und
betet. Ja, schau selbst: Beten tut er.«
    Sie wechselten sich am Guckloch ab. Jetzt schaute der andere in die
Zelle. »Hast recht, der betet. Aber wenn du mich fragst …«
    Er wandte sich von der Zellentür ab und seinem Kollegen zu. »Wenn du
mich fragst: Das war ja immer schon ein Irrer. Ich habe den ja oft in der Stadt
laufen sehen. Der hat immer vor sich hin geredet, ist in Kirchen gegangen oder
aus Kirchen gekommen. Alle haben ihn für einen harmlosen Spinner gehalten. Aber
jetzt … jetzt sieht man, was dann rauskommt, wenn man die Irren so rumlaufen
lässt. Und, du wirst schon sehen, am Schluss sprechen die den schuldunfähig …«,
er tippte sich mit dem Zeigefinger mehrmals an den Kopf, »und tun ihn in die
Psychiatrische. Ich möchte fast wetten drauf.«
    Der Kollege nickte.
    »Da hast du schon recht. Andererseits: Was willst mit dem alten
Teufel machen? Im regulären Gefängnis weiß man ja auch nicht, was man mit dem
noch anstellen soll.«
    Sein Gegenüber grinste, winkte den Kollegen dann mit einer
verschwörerischen Geste zu sich heran, ganz nahe, noch näher, und sagte dann:
»Unter uns gesagt: Man sollte solchen Typen bei der Inhaftierung die
Hosengürtel nicht abnehmen. Dann hätten die wenigstens was, woran sie sich
aufhängen könnten. Verstehst?«
    *
    Marielle hatte den Ersthelfer-Rucksack von Michael am Rücken und
stieg, von den anderen bestens gesichert, immer näher an das Loch heran. Dort,
wo sie hintrat, waren auch die Spuren der Person, die hier gegangen und in die
Spalte eingebrochen sein musste.
    Ein beschissenes Gefühl, dachte sie. Ein wirklich beschissenes
Gefühl.
    Noch drei Schritte, noch zwei.
    »Nehmt mich straffer!«, rief sie. »Die Scheiße unter mir kann ja
jederzeit zusammenbrechen.«
    Sie ließ sich auf die Knie sinken und krabbelte das letzte kurze
Stück ganz vorsichtig bis an die Bruchstelle heran.
    Tief, war ihr erster Gedanke, als sie den Kopf über den Rand
streckte. Tief und düster. Unheimlich.
    »Halloooo!«, rief sie wieder. Diesmal direkt in die Spalte.
    » HAAALLLLOOOOOO «, hallte es zurück,
als käme ihre Stimme aus einem riesigen Walfischbauch.
    Nichts sonst. Nur das Geräusch von Tropfen, die

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