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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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mögen.
    Als sie den Firn des Gletschers erreichten, banden sie sich zu einer
langen Seilschaft zusammen – so war die Gefahr am geringsten, dass etwas
Ernsthaftes passieren könnte. Und zugleich wäre es so am leichtesten, einen in
die Spalte gestürzten Seilpartner wieder zu bergen. Drei Leute würden keine
allzu großen Probleme haben, den Sturz abzufangen und den Gestürzten wieder
hochzuziehen.
    Schon beim Abstieg hatten sie versucht, Spuren am Gletscher
ausfindig zu machen. Doch sie sahen nur die eigenen, die vom gestrigen Aufstieg
herrührten. Und auch die nur, weil sie geschulte Augen hatten: Außer den
charakteristischen Steigeisenabdrücken – jeweils acht oder zehn Löcher im
harten Firn – war nichts zu entdecken.
    »Irgendwie ist das ein Schmarrn«, sagte Felix. »Wahrscheinlich hat
der Mann sein Handy verloren, ist dann abgestiegen, heimgefahren und liegt im
warmen Bett, während wir uns hier den Arsch aufreißen.«
    »Oder er ist woanders, nicht hier am Gletscher«, sagte Pablo. »Der
kann überall sein.«
    »Ist er aber nicht«, sagte Michael, der selten etwas sagte, dann
jedoch meist etwas von Bedeutung. »Schaut da rauf! Ja, dort, wo wir biwakiert
haben. Und von dort bisschen höher und ein gutes Stück nach links, in Richtung
Grat, der die Felsen vom Himmel trennt. Seht ihr das?«
    Alle kniffen die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Und dann
sahen alle, was er meinte: Da leuchtete etwas. Farbig. So farbig wie ein
Schlafsack oder eine Daunenjacke oder ein Biwaksack oder was auch immer.
    »Wieder rauf!«, sagte Felix. »Vielleicht liegt ja der Mann dort
oben.«
    »Nicht alle«, sagte sein stiller Kollege. »Es genügt, wenn erst
einmal einer raufsteigt. Mach du das, Felix. Wir anderen sollten uns weiterhin
den Gletscher vornehmen.«
    Sie begleiteten ihn in der Seilschaft bis ins sichere Gelände, und
Felix befolgte den Auftrag, ohne noch lange zu fragen. Der etwas ältere Michael
genoss eine gewisse Autorität, zu der es keiner großen Worte bedurfte. Allein
stieg Felix im unschwierigen Urgesteinsblockwerk wieder hinauf, während die
anderen am Gletscher leicht bergab gingen, dorthin, wo auf jeden Fall Spalten
zu vermuten waren.
    Sie konzentrierten sich auf die Zone, die ein Stück weiter unten
lag, vielleicht zwanzig Gehminuten entfernt. Für nichts anderes hatten sie mehr
Augen. Konnte ja gut sein, dass dieser Tinhofer, der sich mit viel Hingabe der
Gletscherfotografie widmete, genau dort sein Eldorado gefunden hatte. Oder sein
Verderben, dachte Marielle.
    Sie schaute nach oben, sah hinauf zu den Gipfeln, die bereits im
Licht der noch verborgenen Sonne zu erstrahlen begannen, sie ließ den Blick
über die immer noch abweisend wirkende Bergflanke, über von Eis und Schnee
zusammengehaltenes Geröll nach unten gleiten, erreichte gleichsam mit den Augen
den Gletscher und wollte schon wieder in Richtung der Seilschaftsbewegung
schauen, als sie etwas sah, was sie innehalten ließ: ein Loch. Ein Loch im
Schnee, in der Gletscherdecke. Und wenn sie noch genauer hinsah, die Augen
zusammenkniff wie vorhin, als sie den Farbfleck in den Felsen suchten, dann …
    »Schaut«, schrie sie. »Da drüben ist was! Ein Loch! Eine Spalte! Und
wenn ich mich nicht ganz täusche … Wirklich, es führt eine Spur hin. Seht ihr?
Seht ihr das?«
    Es waren knapp hundert Meter bis dorthin, wo im leicht ansteigenden
Gelände ein eigentlich unscheinbares Loch im Schnee auszumachen war. Die
Dreierseilschaft versuchte, möglichst schnell dorthin zu gelangen – dabei aber
nicht die Achtsamkeit aufzugeben.
    Sie hatten das Loch noch nicht erreicht, als sie die Stimme von
Felix vernahmen. Von einem mehrfachen Echo begleitet, drangen seine Worte zu
ihnen: »Jaaa … hier … ist … ein Biwak…platz …« Kurze Pause, gefüllt vom
Nachhall. »Versteht … ihr … mich? … Biwakplatz … Aber es … ist … niemand hier …«
    »Jaa!«, rief Michael zurück. »Verstehen dich! Bleib oben, bis unsere
Leute kommen! Verstanden?«
    »Jaa! … Ver…stan…den.«
    Sie waren jetzt nur mehr ein paar Schritte von dem Loch im Schnee
entfernt. Die Spur, die dorthin, aber nicht mehr davon wegführte, war jetzt
deutlich zu erkennen. Es gab kaum Zweifel, dass jemand dort hineingestiegen
oder hineingestürzt war. Eher war Letzteres zu vermuten.
    Als Erstes gruben sie einen Eispickel als stabilen Sicherungspunkt,
als sogenannten »toten Mann« ein. Während Michael grub, rief Marielle immer
wieder Richtung Loch: »Hallo! Ist da wer?

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