Gletscherkalt - Alpen-Krimi
vollgepisster oder vollgekackter Hose auffindet. Aber
wahrscheinlich …« Er legte das Foto auf den Tisch, sah Hosp an: »Wahrscheinlich
gibt es keinen Selbstmord, bei dem man sich nicht vollmachen würde.«
»Es war kein Selbstmord«, sagte Hosp. »Mittlerweile haben wir das
Ergebnis von der Gerichtsmedizin. Spiss war schon tot, als er an den Baum
geknüpft worden ist. Aber, sei mir nicht böse, mir wäre ein anderer Sound jetzt
doch lieber …«
»Du bist und bleibst ein Kulturbanause«, sagte Schwarzenbacher. Er
ließ noch ein paar Takte von »400 Years Ago Tomorrow« weiterklingen,
drückte dann die Stopp-Taste an der Fernbedienung und sagte mit einem Grinsen,
das fast keines mehr war: »Kannst Ellen fragen, ob sie dir eine
Neil-Diamond-Scheibe einlegt. ›Song Sung Blue‹ …«
Hosp reichte ihm ein Foto, das ein ganz besonderes Detail zeigte:
den Knoten, mit dem das Seil um den Hals gebunden war.
»Ich war beim ÖAV und habe das so
einem Kletterexperten gezeigt. Er sagte mir, es handle sich um einen
Bulinknoten. Früher hat man sich damit angeseilt, einfach so um den Bauch. Dann
ist der Knoten weitgehend aus der Mode gekommen, ehe er in den letzten Jahren
bei den jungen Kletterern wieder an Bedeutung gewonnen hat. Er wird dazu
genutzt, das Seil in den Klettergurt einzubinden.«
Schwarzenbacher besah sich den Knoten.
»Den hätte aber auch Spiss selbst binden können, oder?«
»Das schon. Ich sehe es auch gar nicht als Indiz für den Mord. Da
liegt die Beweislage ganz woanders. Zum einen haben die Mediziner deutliche
Würgemale festgestellt, die nicht vom Erhängen herrühren. Allen Erkenntnissen
zufolge ist Spiss mit bloßen Händen erwürgt worden, und zwar von hinten. Das
Zungenbein ist eingedrückt. Man geht davon aus, dass es die Kraft eines
ziemlich starken Mannes erfordert hat …«
»Da bin ich skeptisch. Wenn ich mir vorstelle, was unsere Marielle
alles so klettern kann – du kennst die Fotos –, dann hätte die in den Händen
wohl genug Kraft, um ein Kalb zu erwürgen.«
»Da hast du auch wieder recht«, sagte Hosp nachdenklich.
»Was ist zweitens?«, fragte Schwarzenbacher. »Du hast mit ›erstens‹
das Erwürgen genannt, also gibt es auch ›zweitens‹ …«
»›Zweitens‹ und sogar ›drittens‹. Zweitens hat man an seiner
Kleidung Spuren von Erde gefunden, die nicht von der Fundstelle stammt. Er ist
erwürgt worden, dann irgendwo abgelegt und schließlich dorthin transportiert
worden, wo man ihn gefunden hat.«
»Wer?«
»Ein holländisches Ehepaar, das sich die Mautgebühr auf der Autobahn
hat sparen wollen. Beim nächsten Mal fahren die Autobahn, das garantier ich
dir. Und selbst da schauen die nicht nach links und rechts. Die Frau muss so
geschockt gewesen sein, wahrscheinlich träumt die den ganzen Urlaub lang Nacht
für Nacht von dem baumelnden Toten.«
»Ich nehme an, du weißt noch nicht, wo der eigentliche Tatort war«,
sagte Schwarzenbacher.
Hosp schüttelte den Kopf. »Danach suchen wir noch. Was wir bisher
wissen, ist, dass er am Nachmittag ausgegangen ist. Er ist mit einem Taxi in
die Innenstadt gefahren, hat im ›Café Munding‹ Bekannte getroffen,
Geschäftsleute im Ruhestand wie er. Wir haben alle befragt; sie treffen sich
regelmäßig dort, trinken Kaffee oder ein Viertel Roten, reden über Gott und die
Welt.«
»Und denen ist nichts aufgefallen an Spiss?« Schwarzenbacher zog die
Augenbrauen in die Höhe.
Blass sieht er aus, dachte Hosp. Wirklich blass. Und ausgezehrt. Als
wäre er in den letzten zwei Monaten um fünf, sechs Jahre gealtert.
»Sagen wir so«, gab Hosp zur Antwort, »ihnen ist im Nachhinein
aufgefallen, dass er kein bisschen anders war als sonst. Nicht die Spur von
besonderer Unruhe oder besonderer Niedergeschlagenheit. Nichts, was auch nur im
Geringsten darauf hätte hindeuten können, dass er sich ein paar Stunden später
aufhängen würde.«
Hosp griff in die Innentasche seines Sakkos. »Ich habe da noch etwas
– und es geht dich eigentlich noch weniger an als diese Fotos.«
Schwarzenbacher grinste.
»Das ist eine Kopie des Obduktionsberichtes.« Er faltete sie
auseinander und reichte sie Schwarzenbacher. »Behalt das bitte für dich …«
Schwarzenbacher überflog die rechtsmedizinischen Ergebnisse. Beim
Stichwort »Mageninhalt« stockte er, sah auf, blickte wieder auf das Formular
und sagte dann: »Spiss war im Kaffeehaus. Hat er dort gegessen?«
»Nein. Das wissen wir. Er hatte zwei kleine Bier.«
»Heißt das, er hat danach
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