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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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war. Er
verließ seinen Stuhl nur, um sich eine Flasche Bier zu holen, und dann, eine
halbe Stunde später, um den Druck auf seiner Blase abzubauen.
    Erst als er gegen zehn Uhr abends seine Beobachterrolle aufgab und
beschloss, schlafen zu gehen, machte er die entscheidende Entdeckung. Er trat
ans Fenster und ließ den Außenrolladen herunter – und da sah er ihn! Er trug
keine grüne Jacke, das konnte er selbst im fahlen Licht der Straßenlaterne
erkennen. Aber es war derselbe junge Mann, der ihn zuletzt verfolgt hatte. Es
gab ihn wirklich! Und er war da, wo er nicht hingehörte!
    Manczic ließ den Rollladen herunter, ohne auch nur einen Moment zu
zögern. Ins Bett ging er aber jetzt nicht. Er machte das Licht an, setzte sich
an den kleinen Tisch an der Wand, auf dem ein verklebter Teller stand und ein
Haferl mit einem trostlosen Rest kalten Kaffees, er stützte die Ellbogen auf
die unappetitliche Tischplatte und begann, sich intensiv Gedanken zu machen,
wobei er unaufhörlich vor sich hin murmelte. Er redete und dachte sich in
Trance. Wissend, dass er in der nächste Stunde eine Lösung finden würde.
    Dieser Junge, das war klar, durfte nicht länger seine Wege kreuzen.
    *
    Marielle war dagegen gewesen, dass Pablo seine
Beschattungsaktivität, »dieses blöde Detektivspiel«, wie sie wörtlich gesagt
hatte, wieder aufnahm.
    »Dann mach du es doch«, hatte er gesagt. Sie hatte ihm den Vogel
gezeigt. »Wenn dieser Manczic wirklich Dreck am Stecken hat, dann solltet ihr
Hosp einschalten. Die Polizei wird das Nötige tun, da bin ich mir ganz sicher.«
Doch Pablo konnte bisweilen stur sein, und auch in diesem Fall ließ er sich
nicht von seiner Entscheidung abbringen.
    »Tu, was du nicht lassen kannst«, hatte sie resignierend und ein
wenig schnippisch gesagt. »Ich geh laufen. Und später schau ich wahrscheinlich
noch im ›Treibhaus‹ vorbei.«
    Sie war dann auch ausgiebig gejoggt, allerdings nicht wie zunächst
geplant hinauf zur Hungerburg, sondern kreuz und quer durch die Stadt.
    Scheiß Abgasgestank, dachte sie. Aber wenigstens mache ich was für
die Kondition.
    Sie kam nach Hause in die kleine Wohnung, wo sie mit Pablo lebte,
und ärgerte sich darüber, dass ihr Partner seine Klamotten, frische wie
gebrauchte, immer so achtlos herumliegen ließ. Sie klaubte, während sie noch
nachschwitzte, ein T-Shirt, eine hingeworfene Jeans sowie drei Socken, eine frische
und ein Paar, das dringend in die Schmutzwäsche gehörte, zusammen und ging dann
ein wenig missgelaunt unter die Dusche.
    Mit noch nassen Haaren und nur in ein großes Handtuch gewickelt kam
sie aus dem Bad und schaltete den Fernseher an. Marielle mochte es nicht,
allein in der Wohnung zu sein, mit niemandem reden zu können, niemandes Stimme
zu hören. Wenn sie allein war, lief deshalb meist halblaut der Fernseher –
selbst wenn sie lernte oder las oder Gymnastik machte. Pablo fand das ziemlich
hirnrissig. »Du schaust doch eh nicht hin«, sagte er, wenn er wieder mal
dazukam. »Du schaust nicht hin, und wahrscheinlich bekommst du nicht mal mit,
was da gesprochen wird.«
    Marielle ignorierte ihn in dieser Sache längst. Sie mochte es, dass
die kleinen Männchen im Fernsehapparat rumzappelten, dass sich um sie herum
etwas bewegte und dass Leute sprachen, miteinander sprachen.
    Dass es hirnrissig war, gestand sie sich auch selbst ein.
    Papperlapapp, dachte sie. Es tut mir gut. Es hilft mir gegen das
Alleinsein und gegen die Angst, die ich davor habe, seit Mama gestorben ist.
    Sie wickelte sich aus dem Handtuch und rieb sich, nackt im Schneidersitz
vor dem Fernseher hockend, die Haare trocken. Dann zappte sie im
Schnelldurchlauf durch die Sender, blieb kurz bei einer
Leichtathletikveranstaltung hängen, schaltete bald weiter, weiter, weiter, bis
Bilder einer Schafherde in mediterraner Landschaft ihr Interesse weckten.
    Schafe! Wie sie auf kargen Wiesen zwischen Felsblöcken weideten, wie
die struppigen Hirtenhunde die Herde umkreisten, wie sich die Tiere zu einem
riesigen Knäuel sammelten und, einer Woge gleich, weiß-wellig bergab fluteten.
Die Landschaft war, als die Kamera in die Totale aufzog, gebirgig und
macchiagrün. Der Himmel hellblau, dazwischen vereinzelt ein paar Wolken, die
wie zerrupfte Entenfedern daherkamen. Nirgendwo war ein Ort zu sehen, nicht
einmal ein Haus. Wären da nicht die Strommasten gewesen, man hätte leicht den
Eindruck gewinnen können, dass der Hirte mit seinen Schafen und seinen Hunden
ganz allein war in dieser Welt.
    Die

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