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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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ewigen Zeiten auf dem
Bolzplatz im zusammengetrampelten Gras gelegen. Ein strammer Schuss der
gegnerischen Mannschaft, der Ball hatte ihn mit voller Wucht in der Magengegend
getroffen, er war zusammengesackt und hatte, keine Luft mehr bekommend,
gedacht, seine letzte Stunde habe geschlagen. Dann hatten ihm seine Kumpels
aber aufgeholfen, hatten ihn unter den Armen gepackt und hochgezogen, und mit
diesem Hochziehen waren die Atemwege freier geworden, die Verkrampfung hatte
sich gelöst. Minutenlang hatte er noch nach Luft geschnappt, hatte von Mal zu
Mal mehr davon in sich aufnehmen können, doch hatte er sich den Bauch gehalten,
und Tränen waren ihm übers Gesicht gelaufen – weshalb er sich ungeheuer
geschämt hatte vor seinen Fußballfreunden.
    Jetzt half ihm niemand auf. Er lag wie ein Fisch auf der Mole; vom
Angler achtlos zum Verenden dorthin geworfen. Zuckend, japsend, den Tod
fürchtend, so lag er da. Rund um seinen Kopf hatte sich eine Blutlache
gebildet. Hellwage spürte die Wärme seines Blutes. Ganz intensiv spürte er sie.

7
    Der Mann hatte auch den Strick gekappt, mit dem Hellwage an die
Kommode gefesselt war.
    Jetzt saß er wieder am Tisch, Speck und Brot vor sich und dazu
einige Flaschen Bier, die er aus Hellwages Vorrat geholt haben musste.
    Hellwage sah zu ihm hinüber wie ein waidwundes Tier. Es war eine
Erlösung, dass er nicht mehr mit seinem ganzen Gewicht an den Handgelenken
hing. Mit dem Durchtrennen des Stricks hatten sich auch Spannungen und
Schmerzen in den Schultern, am Rücken und in den Armen ein wenig gelöst.
    Er sah, wie der Mann erst eine, dann noch eine Bierflasche öffnete
und dabei zu ihm herüberschaute.
    »Müssen reden«, hörte er ihn sagen. »Musst nur zum Tisch kommen.
Kannst dich setzen, kriegst ein Bier …«
    Hellwage konnte das nicht verstehen. Dieser Mann hatte ihn grausam
gequält, hatte ihm schwere Verletzungen zugefügt, körperliche Verletzungen, von
den seelischen, die unweigerlich kommen würden, nach diesem traumatischen
Erlebnis nicht ausbleiben konnten, ganz zu schweigen. Und jetzt sollte er mit
diesem Mann, diesem Ungeheuer von einem Mann, am selben Tisch sitzen und Bier
trinken?
    Wäre ihm das denn überhaupt möglich? Er versuchte, die immer noch an
den Handgelenken gebundenen Arme ein wenig zu bewegen. Es ging, doch es tat
furchtbar weh. Das Schlimmste aber waren die Schmerzen in seiner Brust, jede
kleinste Regung in seinem Körper quittierten sie mit einem zuerst ihn atemlos
machenden, dann sich wellenförmig ausbreitenden Gefühl, so etwa, als würde ein
Auto langsam, ganz langsam über seine Brust nach vorn und wieder zurück rollen.
    Nie komme ich bis zum Tisch, dachte er. Nie, nie, nie!
    Er sah aber auch die Bierflaschen dort oben stehen, eine davon
anscheinend für ihn schon geöffnet. Sein Durst war wie der eines Mannes, der
sich vor Tagen in der Sandwüste verlaufen hat. Er glaubte, das Bier riechen zu
können. Und er glaubte, seinen Geschmack auf der Zunge zu haben, und vermeinte
zu spüren, wie es seinen Mund und seine Speiseröhre kühlte.
    Es war das Bier, vor allem das Bier, das ihn verzweifelte
Anstrengungen unternehmen ließ. Wasser hätte es auch getan, oder Cola oder
Limo. Hauptsache flüssig und kalt. Doch er roch und schmeckte das Bier ja
bereits.
    Hellwage hatte nur mehr ein Ziel: bis zum Tisch zu robben und nötigenfalls
sich sogar hochzuziehen bis auf die Bank oder den Stuhl.
    »Wenn du nicht kommst, trink ich Bier selber«, hörte er die Stimme
des Mannes wieder. Am Klang der Stimme glaubte er zu erkennen, dass er sich
lustig machte über ihn.
    »Musst schon herkommen«, sagte der Mann.
    Hellwage setzte sich in Bewegung. Er schob sich, auf der Seite
liegend, Zentimeter um Zentimeter voran. Bis zum Tisch war es nicht weit,
zweieinhalb Meter vielleicht, für ihn jedoch ein weiter, weiter Weg, ein Weg
voller Schmerzen und voller Angst.
    Nachdem er einen halben Meter weit gekommen war, immer unter lautem
Stöhnen robbend und rutschend, legte er den Kopf erschöpft auf den Boden. Die
Blutung an der Stirn musste nachgelassen haben, denn trotz der unmenschlichen
Anstrengung, mit der er sich voranquälte, tropfte kein Blut mehr vom Kopf, und
da, wo er jetzt lag, bildete sich keine rote Pfütze.
    Ich kann nicht mehr, dachte er, und sogar die Gedanken schienen zu
hecheln wie ein verendender Hund.
    Wenn ich einen Hund gehabt hätte, dachte Hellwage. Vielleicht wäre
das alles nicht passiert.
    Er schob sich neuerlich ein Stück weiter. Er

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