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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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nur,
dass man den Alpenvereinsausweis vorlegen kann.
    Praktisch, dachte sie, wenn man mal für einige Zeit untertauchen
muss. Braucht man eigentlich nur von Hütte zu Hütte zu ziehen …
    Sie ging an diesem Abend nicht mehr weg. Der Freundin, mit der sie
vage ein Treffen im »Treibhaus« vereinbart hatte, sagte sie telefonisch ab.
    Sie machte es sich auf dem durchgesessenen Sofa bequem, ein paar
alte Geo-Hefte vom Flohmarkt in Reichweite, ein Glas Rotwein und ein paar
Wachträume vom Reisen und vom Leben. Der Fernseher lief beinahe stumm.
    Sie genoss es durchaus, an diesem Abend mit sich und ihren Gedanken
allein zu sein.
    *
    Jetzt saß der Mann da. Der Mann, der ihm am Gipfel der Raschötz
so auf die Nerven gegangen war. Es war der Mann, der und kein anderer. Hellwage
konnte ihn sehen, und er wusste, dass er sich in seiner Gewalt befand.
Gefürchtet hatte er sich von Anfang an vor ihm.
    Der Mann saß an seinem Tisch, trank Bier und schob sich abwechselnd
Speckscheiben und Schüttelbrotstücke in den Mund. Wenn er Letztere kaute,
erfüllte das Geräusch des krachenden Brotes den ganzen Raum.
    »Waassh …?«
    Hellwage versuchte zu sprechen, doch es wollte ihm nicht richtig
gelingen.
    »Waassh …?«
    Der Mann sah zu ihm herüber, sah ihn an, aß und kaute weiter.
    Hellwage schluckte und versuchte mit Speichel seinen ausgedörrten
Mund zu befeuchten und die Zunge und die Lippen wieder fügsam zu machen. Das
Schlucken bereitete ihm zusätzliche Schmerzen. Und Speichel wollte sich einfach
keiner einstellen. Es war, als wären alle Energie und alle Lebenssäfte in ihm
abgesunken und für immer verloren.
    Irgendwann gelang ihm wenigstens, seine Frage herauszupressen: »Was
… wollen … Sie … hier?«
    Er hätte mehr sagen wollen, mehr fragen, doch seine elendige
Fesselung, in der er vom Deckenbalken hing und die ihn mit beinahe seinem
ganzen Körpergewicht nach unten zog, ließ ihn schon nach diesen vier Worten
beinahe wieder das Bewusstsein verlieren.
    Er hatte fürchterliche Angst. Dennoch oder gerade deshalb wollte er
unter keinen Umständen mehr ohnmächtig werden. Es war ihm ein grausames Rätsel,
wie er aus dieser Lage wieder herauskommen könnte, doch es war ihm eine
Gewissheit, dass es, wenn überhaupt, nur dann gelingen konnte, wenn er bei
Sinnen war.
    Er bekam keine Antwort von dem Mann, der schweigend dasaß und kaute,
als wäre er völlig allein hier. Doch dann sah er ihn aufstehen, im Stehen mit
weit in den Nacken gelegtem Kopf die Bierflasche leeren, mit ein paar Schritten
hinter dem Tisch hervorkommen und dann aus seinem Blickfeld verschwinden.
    Der Mann stand seitlich hinter ihm. Hellwage konnte das spüren.
Sehen konnte er ihn nicht. Und doch war ihm klar, dass er ganz nahe bei ihm
stand. Seine Panik wuchs ins Unermessliche. Was würde als Nächstes geschehen?
Was würde mit ihm geschehen?
    Ich muss initiativ werden, dachte Hellwage. Muss irgendetwas tun,
etwas sagen. Nur was?
    Ihm fiel nichts ein, außer »Bi…t…t…e…« zu stammeln. »B…itt…e!« Und
noch einmal »Bitt…e«.
    Dann hörte er die Stimme des Mannes. Er hörte sie ganz dicht an
seinem Ohr. Kalt. Kalt wie Stein. Oder wie die stählerne Klinge eines Messers.
    »Müssen reden«, sagte der Mann.
    Im nächsten Moment konnte Hellwage die Klinge hören. Wie sie
hineinfuhr in den Strick, der ihm die Hände band und mittels dessen er an den
Balken gefesselt war. Wie der Strick seine Hände rüttelte. Wie die Schneide
tiefer eindrang in den Strick und wie es plötzlich einen Laut gab, wie er ihn
noch nie gehört hatte: ein Zischen, ein Schnalzen, ein Quietschen, alles
zusammen und in einem. Und alles dauerte höchstens eine Sekunde. Noch bevor
dieses Geräusch verhallen konnte, schlug Hellwage, die Hände zusammengebunden
und weit nach oben gestreckt, am Holzboden seines Hauses auf. Ungebremst fiel
er auf die Brust und den Kopf. Er konnte spüren und hören, dass ihm Rippen
brachen. Glück hatte er, dass er beim Sturz den Kopf zur Seite gewendet hatte
und er nicht frontal mit dem Gesicht aufschlug, sich nicht die Nase brach und
die Zähne zerbarsten. Er schlug mit der linken Gesichtshälfte auf, mit der
Stirn oberhalb der linken Schläfe, der Schmerz war dumpf und stechend zugleich.
Ihm blieb die Luft weg, er fand keinen Atem mehr, das kam von den gebrochenen
Rippen.
    Er japste nach Sauerstoff. Mit einem pfeifenden Geräusch sog er so
viel Luft ein, wie er nur bekommen konnte. Viel war es nicht.
    So, genau so, war er, ein Junge noch, vor

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