Gletscherkalt - Alpen-Krimi
Tod seiner Tochter aus der Bahn geworfen hat. Wir haben Kontakt zu den
kroatischen Kollegen aufgenommen. Vielleicht magst du darüber berichten …«
Wasle richtete sich ein wenig auf dem Stuhl auf und schob seinen
Oberkörper näher an den Tisch heran.
»Manczic hat noch einen ziemlichen Familienclan in Kroatien.
Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen, Nichten und Neffen. Die meisten leben
im Süden, im Landesinneren, dort, wohin sich Touristen normalerweise nicht
verirren. So wie wir das sehen, sind dort zehntausend Euro mehr wert als bei
uns.«
Schwarzenbacher spitzte die Lippen, gab ein quietschendes Geräusch
von sich. »Du meinst, dass Manczic dort jemanden hat, der für ihn die
Drecksarbeit macht?«
»Wir sind uns sogar ziemlich sicher«, fuhr Wasle fort. »Wir
vermuten, dass es in dieser Region eine ganze Reihe von Leuten gibt, die für
derartige Aktionen in Frage kämen. Männer, die sich in jungen Jahren während
des Krieges unrühmlich hervorgetan haben. So manch einer soll abgetaucht sein.
Wobei das in meinen Augen nur dahingesagt ist – wahrscheinlich leben sie die
meiste Zeit frei und unbehelligt in ihren Dörfern. Wenn dann aber wieder mal
eine Fahndung nach Kriegsverbrechern läuft, verschwinden sie für ein paar Tage
oder Wochen, und das war’s dann erst mal. Davon ausgehend, dass die Suche nach
Kriegsverbrechern der zweiten, dritten Kategorie immer sporadischer stattfinden
wird, können sie sich auf eine geruhsame zweite Lebenshälfte einstellen.«
»Entzückend, Baby«, ahmte Schwarzenbacher jenen Lieutenant Kojak
alias Telly Savalas nach, der in seiner TV -Serie
in den Siebzigern die Fernsehgucker begeisterte – und der das jetzt, auf
irgendeinem privaten Kanal, wieder tat. »Wirklich entzückend. Aber – wie sicher
ist es, dass die Spur nach Südkroatien führt?«
»Sicher ist gar nichts«, sagte Hosp. »Doch es würde passen. Da setzt
einer das schmutzige Handwerk fort, das er in Kriegszeiten erlernt hat. Er
bringt die Voraussetzungen mit, die solche Aufgaben nun mal erfordern: Er ist
kaltblütig, brutal, versteht sich aufs Töten. Es ist ja bekannt, dass die
Verrohung, die in Kriegen einsetzt, oft noch lange vorhält. Dass Werte, so es
sie einmal gegeben hat, ihre Bedeutung verlieren. Dass Menschen, die vom Tod
und vom Morden umgeben sind, unter Umständen jede Scheu verlieren, selbst zu
töten. Gewalt ist plötzlich nicht mehr gesellschaftlich geächtet, sie ist an
der Tagesordnung, wird zur Normalität.«
Ins allgemeine Schweigen, das jetzt einsetzte, mischten sich die
Geräusche des zurückkehrenden Anwalts Dr. Reuss, der leise in den Raum
trat, sich still hinsetzte, still von einem zum anderen sah, um dann zu fragen:
»Habe ich etwas verpasst?«
*
»Du glaubst also, dass dieser Tinhofer der Richtige ist?«
»Hä?«, erwiderte der Mann, der jetzt offiziell Paul Kurth hieß und
der ihn nur deshalb nicht verstehen konnte, weil der Abstiegsweg von der Hütte
schmal war, sie hintereinander gehen mussten und der Bergwald die Worte
verschluckte.
Manczic blieb stehen, wandte sich um, sagte: »Dann musst du diesen
Tinhofer finden, rasch. Ich kann mich nicht ewig herumtreiben. Und zurück kann
ich auch nicht. Du weißt, die Polizei hat mich im Visier. Du musst die Sache
schnell erledigen. Dann gehen wir nach Kroatien. Du bekommst den Rest vom Geld
dafür, dass mich dort keiner findet.«
Kurth nickte. Er wusste, so war es abgemacht. Er wusste aber auch,
dass der Alte mittlerweile zur Gefahr geworden war. Wenn die Polizei hinter ihm
her war, wäre es nur mehr eine Frage der Zeit, bis auch er selbst in den Fokus
geraten würde.
Er stapfte hinter Manczic her, tief in Gedanken versunken. Für den
zauberhaft schönen Wald mit seinen steinalten Eichen, die wie in »Harry
Potter«- oder »Herr der Ringe«-Filmen verzaubert erschienen, hatte er keinen
Blick. Hatte er nie gehabt, jetzt schon gar nicht. Kurth überlegte, wie er den
letzten der Aufträge erledigen könnte. Wie er an diesen Tinhofer herankam.
Hoffentlich lebt der in Innsbruck oder in der Umgebung, dachte er.
Ich habe keine Lust, noch viel Zeit in diese Sache zu investieren. Zu
gefährlich geworden. Drei Tage noch, dachte er. Drei Tage noch, dann bin ich
weg.
Einen Moment lang überlegte er sich, ob es nicht leichter und
sicherer wäre, den alten Manczic zu erschlagen, diesen Tinhofer in Ruhe zu
lassen und einfach zu verschwinden. Er mochte den Alten nicht. Er ging ihm auf
die Nerven. Und er brachte ihn mehr und mehr in
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