Glitzerbarbie
Hotelzimmer stehen bleibt. Aber er sagt nur höflich: »Gute Nacht, bis morgen dann, sehen wir uns um acht beim Frühstück?«, und entschwindet dann zwei Zimmer weiter. Ich falle enttäuscht ins Bett. Nicht dass ich unbedingt mit ihm hätte schlafen wollen, aber ich hätte es einfach gut gefunden, wenn er es wenigstens versucht hätte.
Allmächtiger, nur drei Stunden Schlaf.
Am nächsten Morgen sehe ich aus wie Betty Ford, bevor ihre Klinik gegründet wurde. Es hilft noch nicht mal eine kalte Dusche. Mein Kopf dröhnt zum Umfallen. Roland sagt zum Glück nichts. Vor ein paar Wochen noch hätte er mein Aussehen mit zynischen Sprüchen kommentiert. Vielleicht nimmt er Psychopharmaka oder Valium. Wer weiß das schon?
Der Flug verläuft ausnahmsweise mal ruhig. Das Erste, was wir erblicken, als wir aus der Flughafentür auf Fuerteventura treten, ist ein rundlicher, älterer Mann, der ein großes Schild mit der Aufschrift »Roland Dunkel« hochhält.
»Das ist Ernie«, klärt mich Roland auf. »Ernie hat hier einen Stützpunkt, er verchartert ›Schwabonia‹-Segelboote. Die werden in Stuttgart hergestellt, diese Boote. Ist zwar ein lustiger Standort für eine Werft, Stuttgart, aber was soll’s! He, Ernie!« »Roooolaaaand!!!«, brüllt Ernie fröhlich und wankt auf uns zu.
Es ist erst früher Nachmittag, aber ich habe das Gefühl, dass er schon das eine oder andere alkoholhaltige Getränk zu sich genommen hat. Das erinnert mich an meinen eigenen Kater.
Schrecklich.
»Ernie ist ein alter Freund von mir«, sagt Roland Dunkel. »Mit dem bin ich schon durch dick und dünn gegangen.«
Ernie wird uns zum Hotel fahren, aber davor möchte er Roland unbedingt das neueste Schwabonia-Boot zeigen. Also eiern wir zum Hafen, wo dieses komische neue Boot liegt. Roland ist restlos begeistert. »Der Kartentisch ist einmalig konzipiert«, schwelgt er. »Und die Kojen – wunderbar!«
Ich deute auf ein Loch im Esstisch. »Ist das Absicht?«
»Das ist für Krümel«, erklärt Roland. »Weil der Tisch ja ringsherum einen hohen Rand hat, kriegt man so die Krümel besser weg.«
Ernie fragt aufgeregt, ob wir eine Runde segeln wollen. Was Roland natürlich will und ich natürlich nicht. Trotzdem fahre ich
mit. Ich finde dieses Schwabonia-Boot total hässlich. Es sieht aus wie eine Plastikbadewanne und wirkt total billig. Ich mag Holz viel lieber. Aber das ist ja nicht mein Problem.
Kurz nachdem wir die Segel gesetzt haben, wird mir schlecht.
Ich kann dieses Schwanken nicht ertragen. Diese Wellen, entsetzlich, dieses Schaukeln, furchtbar. Ich übergebe mich das erste Mal nach ungefähr einer Viertelstunde und bin daraufhin zu nichts mehr in der Lage. Wäre ich doch bloß in Watzelborn geblieben. Oder in Berlin. Ich möchte überall sein, nur nicht auf diesem Boot, das sich, wie Roland sich ausdrückt, »rank durch die Wellen schlängelt«. Ich verbringe den Rest des Kurzausfluges damit, auf aufeinander gelegten Leinen, die mir als Kopfstütze dienen, vor mich hin zu vegetieren und die ganze Menschheit zu verfluchen.
Zum Glück ist dieser furchtbare Törn (furchtbares Wort übrigens) nach ungefähr fünf Jahren zu Ende, und Roland meint, dass wir doch jetzt lecker was essen gehen können. Ich kann an Essen überhaupt nicht denken, aber darauf wird natürlich keine Rücksicht genommen. Ernie bringt währenddessen schon mal unsere Sachen ins Hotel, was ja schon nett ist. Wenn mir nur nicht so schlecht wäre! Wie müssen sich eigentlich die Sklaven in der Kolonialzeit gefühlt haben, die von bösen Aufsehern permanent gepeitscht wurden, wenn sie bei siebzig Grad unter Deck vierzig Stunden am Stück im Bootsbauch rudern mussten? Wind und Wellen ausgesetzt. Ich mag gar nicht daran denken und freue mich darüber, im 21 . Jahrhundert zu leben. Ich fand Seefahrtsgeschichten von früher schon immer gruselig und habe mich schrecklich gefürchtet.
Allein die Geschichten von den Kraken. Riesenkraken. Es gibt vergilbte Kupferstiche, da sind Riesenkraken zu sehen, die sich einfach so um ein Fischerboot geschlungen haben und dieses
Fischerboot dann einfach aufaßen! So mir nichts, dir nichts. Ich dachte immer, das sei gesponnenes Seemannsgarn, aber kürzlich gab es eine Reportage, in der wurde von einer Riesenkrake berichtet, die insgesamt 60 Meter Durchmesser hatte und sich um ein Boot geschlungen hatte. Roland weiß bestimmt, ob da was dran ist.
»Klar«, nickt er. »Die Krake, die da gefunden wurde, hatte Fangarme, da träumt man noch
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