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Glitzerbarbie

Glitzerbarbie

Titel: Glitzerbarbie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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gedient haben muss. Über der Tür ist ein Hochbett eingebaut. Und in der einen Toilette gibt es tatsächlich noch einen alten Spülzug. Eine Messingtafel an der Wand verrät den Hersteller:
Gebr. Mortensen, Hamburg
. Aber das Tollste sind die vorderen Räume: Drei ineinander übergehende Zimmer, jeweils durch Schiebetüren getrennt, die zur Hälfte aus wunderschönem Milchglas bestehen. Überall Parkettboden. Doppelte Sprossenfenster.
    »Hier im mittleren Raum können wir ein Schiffsmodell hinstellen. Das kaufen wir in der Bretagne. Da haben sie die schönsten. Ich möchte zu gern mit dir in die Bretagne fahren. Frankreich ist herrlich! Ich zeige dir alles!« Roland ist schon rot im Gesicht.
    »Und nach Schottland fahren wir auch zusammen und nach Schweden und überall hin!« Ist das schön, bei ihm zu sein. »Du siehst bedrückt aus, Caro, was ist denn?«, fragt er und streichelt mir übers Haar. Das ist zu viel für mich. Ich muss tatsächlich anfangen zu weinen. Alles sprudelt heraus. Roland ist ein wunderbarer Tröster. Allein der Satz »Das kriegen wir schon alles hin«, hat etwas unglaublich Beruhigendes. Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das seine Sorgen abgeben kann. Roland wird’s schon richten.
     
    Wir fahren dann mit Rolands Auto nach Büsum. Von dort aus geht die Fähre nach Helgoland. Die Fahrt dauert zweieinhalb Stunden, und man kann nach kurzer Zeit die Insel schon sehen. »Im Winter ist es auf Helgoland manchmal richtig unheimlich«,
erzählt Roland. »Das Nebelhorn tutet, und dann immer der Strahl vom Leuchtturm. Die ganze Nacht. Da bekommen viele Insulaner Depressionen. Viele haben sich auch vom Oberland aus von den Klippen gestürzt. Das war nicht so toll. Aber ansonsten ist es herrlich!«
    Roland hat ein Apartment im Haus »Rungholt« für uns gebucht. Dann gehen wir sofort aufs Oberland, weil ich ja die Lange Anna sehen möchte. Roland läuft vor mir her und erklärt alles: »Die Lange Anna ist ein abgesonderter Inselteil. Helgoland verfällt nämlich immer mehr. Das hat was mit dem Meer zu tun, logischerweise. Es fallen immer wieder Brocken ab und ins Wasser. Man versucht alles Mögliche, um das zu verhindern, aber es gelingt leider nicht immer.«
    Die Lange Anna ragt trutzig aus der Nordsee empor. Rot und behäbig steht sie da, als könne ihr nie etwas passieren. Am liebsten würde ich mich oben auf die Lange Anna legen und ganz lange schlafen, um den doofen Schlamassel zu vergessen.
    »Und hier«, Roland deutet unter sich. »Hier sind die ganzen Selbstmörder runtergesprungen. Entsetzlich, oder?«
    Huuuh. Das ist wirklich entsetzlich. Ich konnte noch nie verstehen, dass Menschen, wenn sie sich schon für den Freitod entschieden haben, ausgerechnet irgendwo runterspringen müssen oder sich Steine in Jackentaschen stopfen, um bei Niedrigwasser auf die Flut zu warten. Furchtbar. Da gibt es doch wahrhaftig einfachere Methoden. Ängstlich beuge ich mich über das Geländer nach vorn. Allmächtiger, geht das tief runter.
    »Neeeiiiin!«, kreischt es so laut neben mir, dass ich fast einen Hörsturz bekomme. »Sie sind doch die Frau Schatz aus ›Anders, aber klar!‹« Eine Frau mit hochrotem Kopf steht neben mir. Sie wiegt ungefähr sechshundert Kilo und kommt immer näher. Ich weiche zurück.
    Drei Minuten später. Ich hänge an einer ungefähr fünfzig Meter
hohen Felswand, an der Leute schon freiwillig runtergesprungen sind. Ich brülle wie am Spieß und halte mich am Henkel der braunen Umhängetasche eines weiblichen, übergewichtigen Fans fest und weiß nicht, wie lange der Henkel halten wird. Über mir fliegen aufgeregte Trottellummen mit ohrenbetäubendem Gekreisch. Ein Stück weiter oben kreischen aufgeregte Menschen. Eine Sekunde später reißt der Henkel der Tasche und ich sause wie ein Stein in die Tiefe. Ich schließe mit meinem Leben ab.

19
    Ich glaube es einfach nicht. Seit zwei Stunden hocke ich auf diesem Trottellummenfelsen, an dem ich glücklicherweise hängen geblieben bin, und über mir wird immer noch beratschlagt, wie man mich »bergen« kann. Davon mal ganz abgesehen, dass ich nicht weiß, wie lange dieser Felsen meinem Gewicht noch standhalten wird, habe ich Hunger, Durst und muss aufs Klo. Am allernervigsten allerdings ist eine Trottellummen-Mutter mit ihren Kindern, die nach Hause möchte, das aber nicht kann, weil ich die Hausbesetzerin bin. Von oben im Sekundentakt Rolands Stimme: »Wir holen dich da runter, Caro, halte aus!« Was sollte ich denn sonst tun? Einen

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