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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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bis morgen früh durchhalten.«
    »Wirklich gefährlich sind sie bestimmt nicht«, sagte Phrynne. »Sonst gäbe es das Ganze nicht Jahr für Jahr.«
    »Du hast recht, natürlich.«
    Inzwischen hatten sich die unabgestimmten Einzelrufe der Menge, wie stets bei Massenaufläufen, zu Sprechchören formiert. Wie bei einem Protestmarsch oder in einem Stadion wurde ein ums andere Mal derselbe Slogan skandiert. Doch nun begann der Lärm sich zu entfernen. Gerald hatte den Eindruck, die ganze Einwohnerschaft sei unterwegs.
    Bald wurde deutlich, daß sie eine festgelegte Prozessionsroute abschritten. Man hörte, wie der Tumult sich von Viertel zu Viertel weiterwand, manchmal näherkam, so daß Gerald und Phrynne erneut von Kälteschauern der Panik ergriffen wurden, dann wiederum in weite Ferne rückte. Es war wohl dieser ständige Wechsel, der Gerald annehmen ließ, es gebe bestimmte Unterbrechungen in dem Geschrei der Menge, Phasen, in denen die Chorrufe von entferntem chaotischen Jubilieren abgelöst wurden. Außerdem wollte es ihm scheinen, daß nun etwas anderes gerufen wurde, doch er konnte die neue Losung nicht heraushören, so sehr er sich auch (wider Willen) darum bemühte.
    »Es ist schon erstaunlich, wieviel Angst man haben kann«, sagte Phrynne, »auch dann, wenn man nicht direkt bedroht ist. Beweist das nicht, daß wir alle, wie soll ich sagen, irgendwie zueinander gehören?«
    So und ähnlich sprachen sie, immer wieder einhaltend, miteinander; sie hatten begriffen, daß dies besser war, als überhaupt nicht miteinander zu reden.
    Endlich konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die rhythmischen Rufe verklungen waren und die Menge statt dessen zu singen begonnen hatte. Es war kein Lied, das Gerald jemals zuvor gehört hatte, aber allein nach der Art, wie es gesungen wurde, mußte es ein Psalm oder eine Hymne sein, der man die Melodie eines Gassenhauers unterlegt hatte. Wiederum näherte sich die Menge, stetig nun, doch mit sonderbarer, unendlicher Langsamkeit.
    »Verdammt, was machen sie denn jetzt?« klang Geralds Stimme aus der Dunkelheit des Himmelbetts. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und die stupide Frage kam unbedacht über seine Lippen.
    Offensichtlich hatte die Menge ihre Wallfahrt beendet und kehrte nun auf der Hauptstraße vom Meer zurück. Die Sänger schienen nach Luft zu ringen und sich zu zerstreuen, wie es erschöpfte Kinder nach den ausgelassenen Spielen einer Geburtstagsfeier tun. Und aus dem Abgrund des Lärms hob sich ein stetiges Scharren und Schlurfen ab. Die Sekunden dehnten sich endlos.
    Dann wieder Phrynnes Stimme: »Ich glaube, sie tanzen. «
    Sie machte eine Bewegung, als wolle sie nachsehen gehen.
    »Nein, nein«! Gerald umklammerte sie.
    Ein Schlag erschütterte das Erdgeschoß unter ihnen. Die Eingangstür war gewaltsam aufgestoßen worden. Es war nicht zu überhören, daß sich das Hotel mit einer stampfenden, singenden Menge füllte.
    Türen knallten im ganzen Haus, Möbel wurden umgeworfen, als der freudetrunkene Pöbel durch die Dunkelheit des alten, verschachtelten Gebäudes wogte und taumelte. Gläser gingen den Weg alles Irdischen, Porzellan zerbarst, messingne Wärmpfannen aus Birmingham schepperten zu Boden. Kurz darauf hörte Gerald, wie die japanische Prunkrüstung auf die Bodendielen krachte. Phrynne schrie auf. Dann rammte eine mächtige Schulter, gestählt durch den Ansturm der Meereswogen, ihre hölzerne Zimmertür, und die Bretter splitterten zu Boden.

    Die Lebenden und die Toten, sie tanzen umschlungen,
    an diesem Ort, zu dieser Stund’ wird davon gesungen.

    Endlich konnte Gerald die Worte verstehen.
    Die Betonungen hatten sich durch die vielen Wiederholungen abgeschliffen wie Klippen unter dem Rollen der Brandung.
    Hand in Hand schleppten sich die Tänzer herein, schlurften und quollen durch den düster-grauen Einlaß, den die zerborstene Tür ihnen gewährte, sangen, wutentbrannt und abgehackt, ekstatisch und am Rande der Erschöpfung. Durch die modrige Düsternis wogten und torkelten sie heran, immer mehr, den Raum ganz und gar füllend.
    Phrynne kreischte hysterisch. »Der Gestank! Oh Gott, dieser Gestank!«
    Es war eben jener Gestank, der sie bereits am Strand verstört hatte; in der aufgebrauchten Luft des engen Schlafzimmers war er nun nicht mehr nur ekelerregend, sondern unaussprechlich, obszön.
    Phrynne war außer sich. Sie hatte die letzten Reste ihrer Selbstbeherrschung verloren, kratzte und biß, schrie wieder und wieder. Gerald

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